Manifest wider die Verballhornung

Gossengoethe

by Gossengoethe

Story

Es sind grundsätzlich (neben vielen anderen) drei Dinge, die mich als der, der ich bin, ausmachen: ich bin ein recht rationaler Mensch, sehr schwer aus der Ruhe zu bringen, und als alter Linguist experimenteller Spielerei mit Sprache nicht fremd oder abgeneigt.

Doch gibt es etwas, das all dies sofort aushebelt. Gut, die ersten zwei können im romantisch-emotionalen Kontext oder wenn es um viel Geld geht auch einmal angepasst werden, aber darum geht es hier nicht. Was mich auf Knopfdruck zum lebensmüden, jähzornigen Dudennazi werden lässt, ist die gezielte Verarsche von gängigen Wendungen und Aussagen, nur um hip, witzig, frech, anders zu wirken.

Damit meine ich nicht organisch entstandene, historische Exemplare. Dass der Hokuspokus aus dem hoc est corpus der Liturgie entsprungen ist, finde ich als getaufter nichtpraktizierender Katholik köstlich. Dass der (zum Zeitpunkt des Verfassens) nahende Silvesterwunsch nicht vom Rutschen ins neue Jahr kommt, sondern dem jüdischen Neujahrsfest Rosch ha-Schana, oder das rotwelsche, besonders bei den teutonischen Nachbarn beliebte „es zieht wie Hechtsuppe“ vom jiddischen hech supha („wie Sturm“), lässt mich lächelnd an den deutsch-israelischen Gastprofessor zu Unizeiten denken.

Aber wenn jemand eine Erklärung mit „zum Bleistift“ beginnt, möchte ich ihm mit einem solchen ins Auge stechen. Wer ungläubiges Staunen mit „Das kann doch nicht Warzenschwein!“ untermalt, den will ich wie Speck häuten und salzen. Verabschiedet sich jemand mit „auf Wirsing“, „bis Dennis“ oder „San Frantschüssco“, hoffe ich, er fährt auf der Heimfahrt an einen Baum und ihm die B-Säule durchs Genick. Wird sich statt der schillernden etablierten Auswahl an Euphemismen für den Geschlechtsakt Neuschaffungen wie vergenusswurzeln, vergewohlstöpseln oder vergenotnutzen bedient, möchte ich dies am Sprechenden mit dem himmelwärts wachsenden Ende einer Ananas vollziehen.

Ich weiß auch nicht, warum mich das so ankotzt. Die meisten sind situationsbezogen eh witzig, und ich kenne wenige, die sie so inflationär benutzen, dass es die für mich so untypischen Gewaltfantasien irgendwann rechtfertigt. Sorge um den Erhalt der Sprache Goethes und Schillers kann es nicht sein, denn einerseits haben die großen Dichter und Denker auch einige Wortspiele im Repertoire, bei denen ich jovial seufzend mit den Augen rolle, und andererseits bin ich im Privaten selbst manchmal nicht unbedingt wählerisch mit den Formulierungen (…nur eben keine in die oben genannten Muster passenden).

Sei das wie es will, ich übe mich jetzt in Meditation, damit mein rasender Hass auf diese Ausdrücke nicht zu Schlimmerem wird. Ich treffe bald einen guten Bekannten, dem das „bis Baltikum“ seit zehn Jahren fünfmal am Tag entfleucht, und ich mag ihn dann doch zu sehr, um ihn deswegen mit bloßen Händen zu erwürgen. Vielleicht spiele ich mit und presse ein „bis Spätersilie“ zwischen den Zähnen hervor, um mich selbst damit abzuhärten.

© Gossengoethe 2021-12-28