by MiPaBu
Der ihr unbekannte Mann fasste sich kurz. „Sie gehören nicht hierher.“ „Ist das so offensichtlich?“ Sophie holte tief Luft, als sie wieder die große Wiese mit den dreckigen Pfützen sah. Es war inzwischen dunkel geworden, die Lichter Oslos funkelten entfernt und deuteten auf Zivilisation hin. Der Mann beobachtete ihr Gesicht, wie sich an jedem anderen Ort zu sehen wünschte. Nur nicht dort, auf einer einsamen nassen Wiese vor einer verkommenden Lagerhalle.
„Warum sind Sie dann hier?“, fragte er weiter auf Englisch mit auffälligem amerikanischem Akzent. Sie drehte sich zu ihm herum und konnte etwas in seinem Gesicht wiedererkennen. Sie wusste nur noch nicht, was genau. „Ich war neugierig.“ „Und wurde Ihre Neugierde befriedigt?“
Sie bekam Angst. Je länger sie hier draußen stand, umso mehr überließ sie Marcel sich selbst. Von Anfang an übernahm sie die Verantwortung für ihn, behütete ihn und legte vor immer ihre schützende Hand über ihren Kollegen. Jetzt war er auf sich allein gestellt, und genau das ärgerte sie. „Ihr Partner wird das Spiel gewinnen.“ Erschrocken fuhr sie wieder zu ihm herum und schluckte sich die Nervosität herunter, wie sie es immer tat, wenn sie kurz davor war, ihre Fassung zu verlieren. “Was meinen Sie?“ Sholin musste über die Unwissenheit lächeln. Er zog sein dunkelblaues Hemd zurecht und richtete sich auf. Trotzdem kam er nicht an die beinahe 1,75 Meter große Frau heran. “Sie wissen gar nicht, worum es hier eigentlich geht, stimmt? Dann kläre ich Sie eben auf.“
Er deutete an, ihm über die Wiese in Richtung der einzigen Straße zu folgen. Ihr innerer Instinkt wollte sie davon abhalten, doch musste sie endlich erfahren, wer dieser Mann war, der sie aus der Meute hervorzog und anscheinend mehr wusste als sie.
„Woher wissen Sie von meinem Partner? Was geht hier vor sich?“
Er antwortete nicht mehr. Stattdessen fokussierte er sich auf den kleinen Trampelpfad, den die Hundertschaft an Anhänger hinterließen. Mit hoch gestrecktem Kopf lief er der einsamen Straße entgegen. Sein Körper schien über die Wiese zu schweben, die schwarze Hose wies keinen Dreck auf, genau wie die polierten schwarze Schuhe. Wieso war er ihr nicht vorher schon aufgefallen? Auch er passte doch kaum zu den anderen jungen Menschen. Als sie unter der einzigen Straßenlaterne angekommen waren, fand sie endlich die Gelegenheit, ihn genauer zu mustern. Er hatte kurze schwarze Haare, welche das eckige Gesicht umrandeten. Seine tiefen Augenlider deuteten auf lange Nächte und wenig Schlaf hin. Mit einer sanften Armbewegung, die mehr an Thai Chi erinnerte, deutete er ihr an, ihre Aufmerksamkeit der Halle zu widmen. Angewidert von seiner Arroganz gehorchte sie ihm widerwillig.
“Er wird zur Göttin gerufen. Er wird sie weiterentwickeln dürfen”.
© MiPaBu 2023-05-06