„Ach herrje, das war was. Als ich so ungefähr in deinem Alter war, sagte meine Oma immer: Du bist jetzt im Backfischalter, weder Fisch noch Fleisch. Ich habe mich eher wie ein Fohlen gefühlt. Unbeholfene Bewegungen, sprunghaft, Haare wie eine Pferdemähne, die ich so frisierte, dass sie Teile meines Gesichtes verdeckten, damit man die ständig sprießenden Pickel nicht so sieht. Mein Körper ist einfach zu schnell gewachsen, das Gehirn hinkte hinterher und deshalb war ich wohl so staksig. Ich habe mich streckenweise schrecklich gefühlt.
„Sofia nickt bestätigend, hattest du auch ständig blaue Flecken und Beulen?“ „Auf alle Fälle! Dazu kamen, der sich langsam entwickelnde Busen und Haarwuchs am ganzen Körper. Ich verwandelte mich in eine mir unbekannte Person, mit der ich mich erst anfreunden musste. Mich wundert es heute nicht mehr, dass ich mich damals unverstanden gefühlt habe.“ Sofia lacht laut auf! „Ich stelle mir gerade dich als das Haarmonster vor.“
„Während meiner Ausbildung zur medizinisch technische Fachkraft lernte ich in Physiologie, dass damals in meinem Gehirn meine reale Körpergröße noch nicht angekommen war. Es mussten erst neue Synapsen gebildet werden. Die entstehen aber nur durch Erfahrungen. Ich war also nicht tolpatschig und unkoordiniert, wie mir immer gesagt wurde, sondern einfach mitten in einem Entwicklungsschub. Also, wie du siehst, es gibt für alles eine Erklärung“.„Hast du mit deinen Freundinnen über diese Wandelerscheinungen gesprochen, oder war dir das peinlich?“, fragt Sofia
„Ich glaube manches erzählten wir uns haarklein, anderes verschwiegen wir lieber“, erwidert Marie nachdenklich.
„Und mit deiner Mama, hast du sicher nicht gesprochen, oder?“, fragt Sofia
„Meine Eltern hatten von meinen Entwicklungsproblemen keine Ahnung, dachte ich damals. Heute weiß ich, sie hatten andere Sorgen und ihre Nerven waren auch nicht aus Drahtseil gemacht. Ich nahm darauf aber keine Rücksicht, knallte mit den Türen, bezichtigte sie der Ahnungslosigkeit und sperrte mich meist schmollend in mein Zimmer ein. Eine Stunde später war ich dann wieder umgänglich, manchmal entschuldigte ich mich sogar. Ich war zerrissen“, bekräftigt Marie, „Ist das bei dir auch so?“
„Ich mag auch nicht mit Mama über solche Sachen sprechen, es ist mir peinlich und ich habe das Gefühl, dass Mama gar keinen Kopf dafür hat.“
„Weißt du Sofia, ich glaube, Eltern müssen ihre Kinder nicht verstehen, sie lieben dich, sie trösten dich, sie sind Anlaufstelle bei großen Problemen, sie umsorgen dich, das ist schon ganz schön viel.“
© Christine Hagelkrüys 2025-04-13