Mein Freund der Enterich

TintaJoyce

by TintaJoyce

Story

Sobald man irgendwo etwas berührt hatte, wie eine Türklinke zum Beispiel, musste man sich gründlich die Hände waschen. Gründlich hieß, mit Seife und warmen Wasser. Und dabei bis zwanzig zählen, das gehörte dazu. Philip konnte schon zählen, kein Problem! Bald sollten die Schulen ganz geschlossen werden und eine Art „Home-schooling“ erfolgen, online. So hörte er es.Zum Glück hatte Philip bereits einen Computer. Aber nicht jeder seiner Freunde hatten einen Computer. Und es gab auch wirklich noch Netzlücken, also Gegenden, wo es überhaupt keinen Internetanschluss gab. Unglaublich, aber wahr. Wie sollte das also funktionieren? Und überhaupt, die Schule war zwar nicht immer schön, aber immerhin durfte Philip dort seine Freunde sehen. Im Unterricht dachte Philip nun öfter an Bertold und konnte es kaum abwarten, bis er endlich nach Hause durfte.

Am Teich roch es nach Wasser, Sonne, Moos und diesem ekligen rosafarbenen Zeug an seinen Schuhen.Philip warf Kieselsteine ins Wasser. Er beobachtete das Spiel der immer größer werdenden Ringe. Im Wasser spiegelten sich ein paar Flugenten, die gerade über ihm hinwegflogen. Es gab sie also doch noch! Fast konnte er ihren Flügelschlag hören, aber ihre Klagerufe übertönten sich gegenseitig. Er hielt sich die Hand zum Sonnenschutz vor die Stirn. Philip versuchte zu erkennen, ob Bertold unter ihnen sein konnte. Sein weißes Gefieder hätte er unter hundert Enten sofort erkannt. Die Sonne blendete zu sehr. Was blieb, waren ein paar weiße Flecken in der Luft, durch den Augenreiz des Lichts.

„Bertold ist ein Erpel!“, hatte Onkel Ferdinand ihm erklären wollen, der sich ständig mit einem Stofftaschentuch die Schweißperlen von seiner Halbglatze wischte.

„Nein, das stimmt nicht, Bertold ist kein Erpel! Bertold ist ein Enterich, und zwar ein richtiger Enterich! Du kennst wohl nur Erpel-Ferkel-Merkel… Erpel-Ferkel-Merkel…!“

Onkel Ferdinand war etwas mürrisch geworden, weil dieser Eins-Zwei-Drei-Käsehoch bereits Politik-Späße erfand, und wohin das führte, hatte man ja bereits in anderen Ländern beobachten können. Philip hatte sich damals hüpfend aus dem Staub gemacht, und war zu seinem geliebten Enterich, an den Teich verschwunden.

Früher, als seine Eltern selbst noch einen Entenstall hatten, konnte er dieses einmalige Erlebnis nie mehr vergessen: Erst hörte er ein Knacken. Dann sah er diesen schmalen Riss in der weißen Schale, der immer länger wurde, und nach kurzer Zeit schlüpfte da dieses nasse, wackelige Entlein hinaus und glotzte Philip direkt ins Gesicht.

Schon bald hatte Philip dieses flauschige, weiße Küken adoptiert, mit Apfelstückchen verwöhnt, ihm Kunststücke beigebracht und bei der Zylinder-Enten-Zauber-Nummer, ihn als den „wunderbarsten Enterich aller Zeiten“ angepriesen. Niemals sollte sein Enterich ein Erpel werden, auch nicht bei Onkel Ferdinand!

Schönste Erinnerungen hatte Philip an Bertold.

Foto: Philipp Deus philipp-deus-MeUNfC3LTHc-unsplash

© TintaJoyce 2021-04-25

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