Frühling. Jeden Tag wandere ich durch den Garten und besuche meine Pflanzen, schau nach, wer aus der Winterruhe erwacht ist, wer Hilfe braucht, wo ich schon ein paar Blättchen mitnehmen darf in die Küche, freu mich über jedes Lebenszeichen. Vor bald 25 Jahren bin ich hier in eine Vorstadtwüste eingezogen: Ein paar Fichten, im pannonischen Klima dahinsiechend, dazwischen schütterer Rasen und drei Blumen: Ein Lavendel, eine schwefelgelbe Primel und eine Kokardenblume. Seither sind ungezählte Samen, Stecklinge, Ableger und Jungpflanzen auf vielerlei Wegen in meinen Garten gekommen und fast alle erzählen mir von Menschen, Orten und Begebenheiten aus meinem Leben.
Die Brennnesseln erinnern mich an meine gärtnerischen Anfänge: Im Schuppen fand ich eine große Schachtel Unkrautvernichter, die sofort am Mistplatz landete. Das sprach sich herum in der Pflanzenwelt: Gänseblümchen zogen bei uns ein, Glockenblumen, Gundelreben, Klee, Löwenzahn, Rainkohl, Schafgarben, Schaumkraut, Taubnesseln, Veilchen… Eines Tages spross aus einer Pflasterfuge eine winzige Brennnessel. Sorgfältig grub ich sie aus und topfte sie ein, bis ich ihr ein besseres Plätzchen bieten konnte. Vor meinem geistigen Auge legten dort schon die Tagpfauenaugen ihre Eier. Nie werde ich den „Ist-es-das-was-ich-glaube-dass-es-ist“-Blick meines Nachbarn vergessen, als ich ihm den kostbaren Topf vor einer Reise zur Pflege brachte…
In allen (un)möglichen Winkeln sprießen Akeleien und erzählen, wie meine Freundin O. mir damals stapelweise Saatgutkataloge, Gartenzeitschriften und zwei Packerln mit Samen aus ihrem Garten überreicht hat: „Akelei blau“ und „Akelei violett“ stand drauf. Seither vagabundieren die Nachfahrinnen der ersten Sämlinge durch meinen Garten und blühen in vielen Farbtönen von Weiß über Rosa, Blau und Lila bis hin zu Dunkelviolett. Sie zeigen, wie ein Garten die Tugend des wohlwollenden Gewährenlassens mit Vielfalt und Schönheit belohnt.
So geht es weiter: Der Diptam, den M. mir geschenkt hat, bevor sie nach England ausgewandert ist – wie war ich überrascht, als er das erste Mal seine aparten Blüten geöffnet hat! Diese verhalfen mir zur roten Rauhblattaster, denn sie habe ich von einem Nachbarn im Tausch gegen einen Diptam-Sämling bekommen. Weiter hinten, im Schatten steht der Akanthus, den ich in Rom vom Aushub neben einer Baugrube gerettet habe, und an der sonnigen Hauswand die Kletterrose ‚Falstaff‘, das Abschiedsgeschenk meiner früheren Arbeitskolleginnen…
Meine größten Schätze aber sind jene, die meine Großmutter mir geschickt hat, kaum dass ich hier eingezogen war: Eine große Schachtel voller Ableger von Himbeeren, Pfingstrosen, Astern, Silberblatt und Leberblümchen – zu jeder Jahreszeit erinnert mich mein Garten nun an meine geliebte Oma.
Und hier stehen schon Schaufel und Töpfe bereit: Eine Freundin wünscht sich Blumen für ihren Garten und so hüpfen neue Geschichten über den Gartenzaun…
© Brigitte Tiefenthaler 2021-04-24