Mein Garten- mein Paradies-

Michaela Gutsjahr

by Michaela Gutsjahr

Story

Michaela Gutsjahr

TEIL 1 (1.Geschichte)

Ich denke oft an das Ostern des Vorjahres, als die Pandemie unser Land lähmte und der verordnete Lockdown Stillstand und Verunsicherung verhieß. Die Natur aber war umso üppiger in diesem Frühjahr der besonderen Art, betörend üppig. Mit Natur meine ich meinen Garten, der sich vor dem großen grün-weißen Hoftor ausbreitet. Ich hänge an meinem Garten. Dort wachsen nicht nur Gemüse aller Art und mehrjährige Blütenstauden, sondern auch Beerensträucher, Obstbäume und jede Menge Wildkräuter, von Bärlauch bis Giersch und von Brennnessel bis Löwenzahn. Ich weiß es genau, dass alles zur gleichen Zeit knospte, sprießte und blühte, damals vor einem Jahr, als es keine Kondensstreifen von Flugzeugen am Himmel gab und keinen Straßenlärm. Verkehrslärm stört mich und es gibt ihn auch in normalen Zeiten kaum. Mein Mann grillte Lamm und Gemüse und wir aßen auf dem alten massiven Eichenholztisch, der neben dem Kräutergarten thront, Wind und Wetter trotzend, die klobige Tischplatte mit einer grauen Patina überzogen. Das Untergestell war Teil der alten Birnenmühle, die zur Zerkleinerung der Speckbirnen für die Mostherstellung verwendet wurde und noch immer die Initialen der Familie trägt sowie das Entstehungsdatum 1879. Mein Mann, der im Coronajahr 60 Jahr alt geworden war, liebt solche Großfamilienessen mit seinen beiden Söhnen und deren Freundinnen. Der Rhythmus solcher Essen ist eingeteilt, sonntäglich im Abstand von 3 Wochen, mein Mann beschützt diesen Rhythmus, er gibt ihm Halt. Das rührt vielleicht daher, dass er Anfang 20 ganz plötzlich über Nacht seinen Vater verloren hat, genau am Tag vor Weihnachten, 3 Wochen später seine pflegebedürftige Großmutter. Die Kostgänger am großen Stubentisch hatten sich binnen kurzer Zeit von 4 auf 2 reduziert. Das prägt sich ein. Als ich, Rosalinde, vor 25 Jahren in den Hof einheiratete, war das erste Bauprojekt ein neuer Lärchenzaun rund um den verkleinerten Gemüsegarten, der unter der Ägide meiner Schwiegermutter viel größer war. Sie war eine fleißige und radikale Selbstversorgerin, nicht nur aus Leidenschaft, sondern aus Überzeugung. Nur dieser Teil des Gartens besitzt einen Zaun, das Grundstück an sich ist unbegrenzt, auch im Blick, der sich an klaren Tagen am grünen Waldmassiv des Hiesbergs verlieren kann. Ich mochte dieses Unbegrenzte, drinnen im Haus genauso, -nirgends existierten Vorhänge oder Jalousien-, wie draußen im Garten, der über den Obstgarten bis zum Hainbuchenwald und runter zum Melkfluss reicht, wo der steile Abhang zum Fließgewässer regelmäßig im Frühjahr mit Bärlauch überzogen ist. Mein Garten ist mein Fenster zur Welt, er war mein Fenster zum Dorf, zu meinen Nachbarn, damals vor einem Jahr, wir konnten zusammenschreien, in diesem Frühjahr des Social Distancing und der Isolation. Hauptsache, ein Austausch war möglich. Selbst die Hähne krähten zusammen – sogar im Chor.

© Michaela Gutsjahr 2021-04-15