Seit meinem 50sten Lebensjahr bin ich Besitzer einer Kuckucksuhr. Ein Geschenk meines in Deutschland lebenden Bruders. Wie jeder weiß und wie der Name schon sagt, befindet sich in dieser Uhr eine von sinnreicher Mechanik umgebene Kuckucks-Nachbildung und diese ruft nach allen 60 Minuten aus, „was die Stunde geschlagen hat“. Zusätzlich vermerkt der kleine Vogel in der ihm eigentümlichen Weise nach jeweils 30 Minuten, dass eine halbe Stunde vergangen ist. In Summe sind dies zu den vollen Stunden im Halbtag x=1+2+3+ … 11+12, also 78 „Kuckucks“ und zu denen kommen dann noch jene 12 zu den halben Stunden und das sind dann 90. Täglich schreit der kleine Bursche in der Uhr also insgesamt 180 Mal. Nicht schlecht; wer hätte das gedacht!
Nun bin ich seitdem um einiges gealtert. Anerkennend darf ich feststellen, dass mir die Uhr samt Vogel seit etwa 6.000 Tagen treue Dienste leistet und das bedeutet für den Kuckuck, dass er bisher mit mehr als 1.080.000 „Kuckucks“ die Uhrzeit vermeldet hat. Niemals hat er verschlafen oder war heiser – ich will ja nicht jammern, aber wenn ich das mit meiner Konstitution vergleiche, könnte mich glatt der Neid fressen.
Untätig ist der kleine Bursche also nicht, aber sinnerfüllend ist seine Tätigkeit wohl kaum. Dabei sollte doch die Eintönigkeit der Tätigkeit angesichts der eindeutig eingeschränkten Abwechslungsmöglichkeiten herausfordernd wirken. Wäre ich an seiner Stelle, würde ich mir Gedanken machen, ob es nicht spezielle Zeigerstellungen gibt, die es wert wären, in besonderer Weise lautmalerisch gewürdigt zu werden. So bilden großer und kleiner Zeiger täglich insgesamt 22 Mal eine exakt gerade Linie. Der pflichtbewusste Kuckuck darf dies aber nur zweimal täglich zum Ausdruck bringen nämlich um 6:00 Uhr in der Früh und um 18:00 Uhr am Abend. Die 180-Grad-Stellung der Zeiger wiederholt sich nämlich alle 65 Minuten und 27 Sekunden, d.h. außer zu den beiden genannten Zeitpunkten gibt es nichts zu vermelden. Fast ebenso verhält es sich, wenn großer und kleiner Zeiger übereinander stehen. Wieder kommt der Zeitabstand von 65 Minuten und 27 Sekunden zur Anwendung, doch ist hier die Situation insofern anders, als die 24:00 Uhr- und 0:00 Uhr-Stellung jeweils zwischen zwei Tagen aufzuteilen ist. Trotzdem egal, weil 2 x ½ auch 1 ergibt.
Je mehr ich darüber nachdenke, desto größer wird meine Bewunderung für den kleinen Vogel in der Uhr, der so genügsam und genau seine Aufgabe versieht. Bewunderung? Naja, das kann man auch anders sehen: Sicher ist der Kuckuck in der Uhr lediglich eine Maschine, die in der vom Uhrmacher festgelegten Weise funktioniert. Und der Vorgang ist nicht so komplex, dass sich jene Eigendynamik entwickeln könnte, die von Verschwörungstheoretikern bei der Künstlichen Intelligenz befürchtet wird. Auch vergessen wir nicht: Beim Kuckuck sind es ohnehin nur die Männchen, die in so charakteristischer Weise rufen.
Und, was lernen wir daraus? Hmm, eigentlich gar nichts.
© Klaus Schedler 2019-04-11