Meine beste Freundin – 4

AnonymWriter

by AnonymWriter

Story

Als ich aufwuchs, wurde vieles in meinem Leben für mich entschieden – auch meine Freundschaften. Meine Eltern hatten klare Vorstellungen davon, mit wem ich Zeit verbringen sollte, und meistens waren es andere afghanische Kinder, die denselben kulturellen Hintergrund hatten wie ich. Doch es gab da eine besondere Freundin, die nicht aus Afghanistan kam. Sie kam aus der Dominikanischen Republik. Ich sage nicht, dass meine Eltern rassistisch waren, aber sie war dunkelhäutig und lebte in einer Weise, die so anders war als das, was ich von zu Hause kannte.

Sie war offen, hatte viele männliche Freunde und war in ihrer Art einfach frei. Das hat mir gefallen, weil ich immer schon ein wenig „männlicher“ von Charakter war. Wir verstanden uns perfekt. Sie war die Art von Freundin, die mir das Gefühl gab, ich könnte einfach ich selbst sein – ohne all die Erwartungen, die zu Hause an mich gestellt wurden. Aber die Freundschaft hatte ihre Herausforderungen. Ich hatte oft Angst, mit ihr in der Schule in die Pause zu gehen, weil sie oft von Jungs umgeben war. Für mich war das ein großes Problem. Ich hatte schreckliche Angst, dass jemand, der meinen Vater kannte, uns zusammen sehen und ihm berichten würde, dass ich mit einem “nicht afghanischen Mädchen” und noch dazu mit Jungs befreundet war. Die Konsequenzen hätten schlimmer sein können als jede Strafe, die ich bisher erlebt hatte.

Das Schöne an dieser Freundschaft war, dass sie wusste, was ich durchmachte. Sie war so verständnisvoll, wie es nur eine wahre Freundin sein kann. Oft sagte sie zu den Jungs, dass sie allein mit mir in die Pause gehen wollte. Sie nahm Rücksicht auf meine Situation, obwohl sie es selbst nicht verstehen konnte. Sie verstand, dass es in meinem Leben Regeln und Zwänge gab, die sie nicht kannte, und trotzdem akzeptierte sie mich ohne zu zögern. So wurden wir ein starkes Freundinnen-Duo. Oder besser gesagt, eine kleine Gruppe. Denn da war noch eine andere Freundin – jemand, über den ich jetzt nicht sprechen möchte. Sie starb bei einem Unfall, und der Schmerz darüber sitzt tief. Einmal lud ich meine Freundin zu mir nach Hause ein. Ich war nervös, aber ich wollte, dass sie ein Teil meines Lebens ist – auch wenn ich wusste, dass es zu Komplikationen führen könnte. Als mein Vater sie begrüßte, war er höflich, aber ich konnte den skeptischen Blick in seinen Augen sehen. Er war nicht überzeugt von ihr, und ich konnte spüren, dass er sich fragte, ob sie die „richtige“ Art von Freundin für mich war.

Meine Freundin bemerkte es sofort. Sie sah mich mit einem verstehenden Blick an und sagte: „Ich verstehe es. Du bist nicht so. Deine Familie kann mich verurteilen, aber du hast es nie getan.“ Das rührte mich tief. Sie akzeptierte die Umstände, unter denen ich lebte, ohne mich dafür zu verurteilen. Sie wusste, dass meine Freundschaft mit ihr echt war, und das war alles, was zählte. Leider haben wir den Kontakt verloren. 2014, als wir von Holland nach Österreich zogen, verloren wir uns aus den Augen. Ich weiß nicht, wo sie heute ist oder was sie macht. Manchmal denke ich an sie und frage mich, wie ihr Leben verlaufen ist. Sie war meine beste Freundin, und obwohl wir uns aus den Augen verloren haben, bleibt sie in meinem Herzen.

© AnonymWriter 2024-09-21

Genres
Novels & Stories
Moods
Herausfordernd, Emotional, Hoffnungsvoll, Challenging