Als ich mit drei Jahren meinen kleinen Koffer packte, um von zu Hause wegzulaufen, weil ich mich mit meiner Mama gestritten hatte, war derzeit keinem klar, dass dies der Beginn einer großen Leidenschaft werden würde. Mein Ausflug endete kurz vor der Maisinger Schlucht, dort gabelte mich eine Frau auf und brachte mich nach Hause.
In einer Bundeswehrsiedlung aufgewachsen stand ich oft vor den Umzugswagen der neu ankommenden oder abfahrenden Familien und träumte. So gerne wäre ich ebenfalls weggezogen. Aber ausgerechnet wir blieben. Mit meinen Eltern gab es so gut wie keine Reisen, weil das Geld fehlte. Aber mein Vater fuhr mit uns so oft wie möglich in die Berge, um dort wild zu zelten. Ich nutzte jede Gelegenheit, die sich mir bot. Egal, ob mit dem Sozialwerk ins Kinderheim nach Abtenau oder zum Zeltlager der Bundeswehr, Hauptsache weg. Mit der Schule brachen wir zum Wandern und Ski fahren nach Österreich auf. Und unsere Abschlussfahrt erlebten wir in London.
Mein Traum die ganze Welt zu sehen, blieb bestehen. Leider fehlten mir das nötige Geld und die richtige Reisebegleitung.
In meiner Ausbildung zur Erzieherin war ich die einzige in der Klasse, die sich für das Heimpraktikum in Bad Friedrichshall bewarb. Dann ging es Schlag auf Schlag. Ab 18 Jahren war ich nicht mehr zu bremsen: Mit der Schwester nach Slowenien und den Gardasee, mit dem Bruder nach Elba und Wien und in der Schweiz besuchte ich Freunde.
Als ich meinen ersten Freund, einen Italiener aus Apulien, kennenlernte, entdeckte ich nicht nur den Süden seiner Heimat. Ich überredete ihn, mit mir sechs Wochen lang die USA zu bereisen. Nach der Trennung eroberte ich zwei Jahre lang Rom. Zurück in Deutschland nutzte ich weiterhin jede Gelegenheit, meine Koffer zu packen. Egal ob ich Verwandtenbesuche ins Allgäu oder nach Oberfranken unternahm, oder Freunde in Nordrhein-Westfalen und Italien besuchte. Genauso zog es mich zweimal beruflich auf die Computermesse nach Düsseldorf.
Durch meinen Mann wurde mein Radius erheblich größer. Als Offizier war er ständig auf Achse. Ich packte die Kinder und Koffer und besuchte ihn, ganz egal, ob er auf einem längeren Lehrgang in Flensburg, Hamburg oder Hannover war oder wieder einmal versetzt wurde, wie nach Nienburg, Amberg, Straubing, Ulm oder Köln. Außerdem waren da die Verwandten meines Mannes in NRW und meine in Starnberg. Nicht zu vergessen, die gemeinsamen Urlaube, die wir nicht nur in Deutschland, der Schweiz, Österreich und in Italien verbracht haben, sondern später in England, Portugal, Tschechien, Malta, Belgien, Luxemburg und an vielen weiteren Orten.
Nachdem mein Mann für 6 Monate nach Rom versetzt wurde, begleitete ich ihn für ein Vierteljahr. Als er nach Australien fliegen sollte, rief ich begeistert: „Da bin ich dabei!“ Nach dem vorher notwendigen Kassensturz wurde ein weiterer Traum wahr.
Seit zwei Jahren bereits stagnieren die Möglichkeiten und ich scharre mit den Füßen: Wann werde ich endlich wieder reisen?
© Irene Hülsermann 2022-02-17