Wenn du eine Geschichte über das Leben schreiben willst, dann schreibe ruhig. Ich selber, ich kann nicht mehr. Schreiben, meine ich. Hab schon ewig nicht mehr geschrieben.
Eigentlich, eigentlich bin ich ja gelernter Koch und Kellner. Habe diesen Beruf auch mehr als zwanzig Jahre ausgeübt. Die meiste Zeit mit großer Freude. Nach der Lehre war ich auf dem Schiff, lernte so die weite Welt kennen. Dann passte ich mich den Jahreszeiten an. Im Sommer am Wörther-, Atter- oder Wolfgangsee. Velden, Gmunden, Bad Ischl. Im Winter in den Bergen. Zürs, Lech, Sankt Anton.
Dann, mit dreißig, lernte ich meine spätere Frau kennen. Sie wurde schwanger. Wir heirateten und ich wurde sesshaft. Und Chefkoch beim Kirchenwirt, dem Speiserestaurant in unserem Ort. Wobei Chefkoch beim Kirchenwirt bedeutete, für relativ wenig Geld den ganzen Laden zu schaukeln, rund um die Uhr da und für alles verantwortlich zu sein. Das ging bald nur noch mit viel Alkohol.
Eines Tages sagte meine Frau: „Ich und dein Sohn. Oder der Kirchenwirt und deine Sauferei.“ Weil auch ich merkte, dass es so nicht weitergehen konnte, brauchte ich nicht lange zu überlegen. Ich stieg aus. Und sattelte um.
„Traumberuf. Bis zu tausend Euro täglich.”, las ich unter den Stellenangeboten. Ich bewarb mich und erhielt den Job. Und durfte mich „Finanzberater“ nennen. Dass ich vorweg einen Kredit aufnehmen musste, um in den Genuss all der Startunterlagen zu kommen, schien nicht weiter schlimm. Bei Dreißigtausend im Monat!
Ich bemühte mich, meine Verwandten und engsten Freunde als Klienten zu gewinnen. Und ihnen eine sichere Geldanlage mit hohen Renditen schmackhaft zu machen. Dann den erweiterten Freundeskreis. Dann schrieb ich wahllos massenweis Leute per Mail an. Und lief mir die Füße wund. Je aussichtsloser die Sache wurde, umso größer wurde der neuerliche Alkoholkonsum. Schließlich glaubte ich, das Glück erzwingen zu können. Und begann zu spielen.
Meine Frau ließ sich scheiden. Und zog mit dem Buben weg. Jetzt ging’s rasant dahin. Die Bank holte sich das Auto, den Fernseher, den Computer. Schließlich musste ich aus der Wohnung. Meine ehemaligen Freunde kannten mich nicht mehr. Beim Kirchenwirt wurde ich rausgeworfen. Und selbst mein Bruder, der mir vorübergehend einen Platz zum Schlafen bot, ließ mich nicht mehr in sein Haus, nachdem sich seine Frau weigerte, meinen Dreck wegzuräumen.
Also kam ich hierher, in die Stadt, wo mich keiner kennt. Wo ich in den Passagen der Einkaufszentren ein warmes Platzerl find. Und wo hin und wieder ein Groschen für mich abfällt. Genug für den Doppler Wein. Mehr braucht’s nicht mehr. Und? Willst du noch immer schreiben über das Leben? Und wie das so ist? Schreib ruhig, schreib. Und wenn du schon schreibst, dann schreib auch, dass es mir leid tut, das mit meiner Frau und meinem Sohn. Dass ich das so nicht wollte. Vielleicht kannst du meinem Sohn ausrichten, dass sein Vater ein Feigling war, einfach sich treiben hat lassen, statt sich dem Leben zu stellen.
© Otto Köhlmeier 2021-08-25