Mia

Anna Lina

by Anna Lina

Story

Ich unterdrücke ein genervtes Seufzen, als ich zum Tisch gehe. 12 Leute, im komplett vollen Restaurant, ich arbeite schon seit heute Morgen, muss schon seit drei Stunden aufs Klo, habe Hunger und absolut keine Lust mehr.

Aber ich brauche ja das Geld.

“Hi, guten Abend- darf ich euch schon was zu Trinken bringen?”

An dem Tisch sitzt eine Familie, vier Kinder, drei Jungs, ein Mädchen, im Alter zwischen schätzungsweise 7 und 16, zwei jüngere Paare, vermutlich die Eltern, und zwei ältere Paare, das müssen die Großeltern sein. Eines der Kinder, ein Junge, den ich auf 14 Jahre schätze, bestellt stolz eine Cola und trägt einen Anzug, der viel zu groß an ihm aussieht. Ich tippe auf Konfirmation, denn auch die anderen sind schick angezogen.

“Wissen Sie auch schon, was Sie essen möchten?”

Einer von den älteren Männern nickt mir mit einem strengen Blick zu, als würde er sagen wollen “Ja, natürlich, so lange, wie du uns warten lassen hast.” Ich gebe mein Bestes, um nett zu lächeln und schreibe brav die Bestellungen auf meinen Block, bis das kleine Mädchen an der Reihe ist.

“Ich mag deine Halskette. Ist das eine Biene?” fragt sie und ich greife reflexartig an den Bienenanhänger. “Ja. Danke. Die hat mir mein Opa geschenkt…er war Imker…” stammele ich. Mein Opa hat mir die Kette nicht geschenkt. Ich habe sie mir selbst gekauft, als Erinnerung an ihn, eine Woche nach seiner Beerdigung. Aber es klingt irgendwie liebevoller, wenn ich sage, dass er sie mir geschenkt hat. Nicht ganz so traurig und einsam.

“Ich mag Bienen.” Das Mädchen lächelt mich an. Sie hat dunkelbraune Haare mit einem leichten Rotstich, wahrscheinlich hat ihre Mutter die wilden Locken heute mit dem strengen Kopf zu bändigen versucht, aber jetzt fallen einige Strähnen in das rund Gesicht des Mädchens. Ich merke erst jetzt, dass ich gar nichts gesagt habe, aber sie kommt mir zuvor: “Ich nehme eine Pizza Rucola bitte, mit extra Käse, wenn das geht.” “Klar. Gerne.” entgegne ich und beginne, ihre Bestellung aufzuschreiben, als der strenge ältere Mann sich plötzlich nach vorne lehnt.

“Die Pizzen hier sind ganz schön groß, Mia.” Er begutachtet seine Enkelin mit demselben strengen Blick. Mia also. Der Name passt zu ihr. “Ich weiß. Und ich hab einen Mordshunger.” entgegnet Mia.

“Sicher, dass du das willst? Du bist noch so schön schlank.” , mischt sich jetzt auch eine der Frauen ein.

Mir läuft ein Schauer über den Rücken, denn ich weiß, was solche Worte auslösen können.

“Ja, ich bin mir sicher”, sagt die 10-Jährige stolz.

Ich zwinkere ihr zu, als ich die Karten einsammle. Genau, Mia. Lass dir bloß nichts sagen.

© Anna Lina 2024-08-26

Genres
Novels & Stories