Mia und das Meer

Sophia_Didier

by Sophia_Didier

Story

Es war ein herrliches Sommerwetter. Familie Beck war an diesem Tag auf dem Weg zu ihren Freunden, die an der Ostküste Spaniens ein großes rustikales Landhaus besaßen. In jeder ersten August-Woche organisierten die beiden Familien ein üppiges Fest mit Freunden, maßlosem Essen, Musik und grandioser Laune, um das schöne Leben zu feiern. Das Landhaus lag nicht weit vom Meer und zum Grundstück gehörte auch ein privater Strandabschnitt, der den Luxus des Domizils unterstrich.

Nicht mehr weit musste Familie Beck fahren, um endlich ihr Ziel zu erreichen. Die lange Anfahrt aus Madrid war mühsam, doch sie zahlte sich für die siebenköpfige Familie immer aus, schließlich konnten sie an jenem Wochenende den Stress und die Sorgen des Alltags zurücklassen und sich vollends entspannen. Nur eine freute sich nicht, es war Mia.

Sie saß hinten am Fenster des großen Wagens und musste sich die nervigen Spiele ihrer zwei jüngeren Zwillings-Schwestern und die dämlichen Sprüche ihrer zwei älteren Brüder, welche trotz des Altersunterschieds nicht in Konkurrenz zu dem kindischen Benehmen der zwei Jüngsten standen, anhören. Die Eltern sagten gleichzeitig:”Kinder, wir sind da!“ und in einem schrillen Ton freuten sich die Zwillinge und redeten plötzlich in einer Fantasiesprache miteinander, die keiner der sonst Anwesenden verstand.

Mia sah aus dem Fenster. Sie mochte das Meer nicht. Es war ihr zu seltsam, zu geheimnisvoll, zu erschreckend und gar nicht begreiflich. Sie hatte schon so viel Schlimmes und Schreckliches vom Meer gehört. Von den wilden und gefräßigen Meeresbewohner und den mysteriösen Geheimnissen und den schrecklichen Vorfällen, die auf der Welt geschehen sind und Menschenleben gekostet haben. Mia hatte einfach Angst vor dem Meer. Angst vor der Tiefe, die sie nicht erkennen konnte, Angst vor dem blauen Wasser, obwohl sie die Farbe mochte, und Angst vor dem, was das Meer versteckt hielt und nie preisgeben würde.

Sie kamen an und Familie Perugino freute sich ihre Freunde endlich wiederzusehen. Ein riesiger Tisch war bereits gedeckt. Die Zwillinge spielten und kreischten mit den Töchtern der Gastgeber und man nahm Platz. Jeder unterhielt sich mit jedem, doch irgendwann bemerkte Mias älterer Bruder, “Wo ist Mia?”. Niemand wusste eine Antwort.

Sie stand am Steg und betrachtete das Meer und die Ferne. Die Sonne brannte auf ihrer Haut, doch sie empfand es als angenehm. Ihre Fußsohlen spürten das heiße Holz und sie fühlte, wie sie ein Verlangen nach dem kühlen Nass hatte. Sie legte ihre Sandalen auf den Boden und ging langsam und vorsichtig den Steg entlang. Sie fragte sich, wieso sie Angst hatte. Sie hatte doch sonst vor nichts Angst und die Angst vor dem Meer war eigentlich unbegründet. Sie konnte ja auch hervorragend schwimmen. Sie trug noch ihre Jeans und ein Top und stieg dennoch langsam ins Wasser. Es war kalt aber auch erfrischend und berauschend. Sie stieß sich vom Steg ab und schwamm. Schwamm ins Nirgendwo. Und es war befreiend.

© Sophia_Didier 2021-08-03

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