21. September, 20h30. W. und ich stehen uns, mit 2 Koffern und 2 Rucksäcken bestückt, am Wiener Hauptbahnhof die Beine krumm. “Nightjet Nr.4090 nach Amsterdam hat 40 Minuten Verspätung”, dröhnt es ziemlich entbehrlich durch den Lautsprecher. Endlich fährt der Zug ein. Wie aufgescheuchte Hühner rennen wir los. Wir entern Waggon 251, dann das Liegewagen-Abteil 51-56.
Wir haben ein 6er Abteil für uns alleine. Das Abteil ist „kuschelige“ 1,9 m x 1,9 m groß (habe es ausgemessen). Es hat einen Mittelgang und auf jeder Seite je 3 Klappbetten. Die beiden unteren Betten sind 60 cm breit. Die oberen weit schmäler. Wie um alles in der Welt würden hier 6 Personen Platz finden? Ich finde es zu zweit schon gewaltig eng.
Aus Leibnitz kommend, sind wir bereits seit 4h unterwegs. Wir haben Hunger. Ich frage den für uns zuständigen Zugbegleiter, einen Pakistani, etwas naiv nach dem Speisewagen. Der Pakistani, der deutschen und englischen Sprache nicht wirklich mächtig, bringt uns eine überschaubare Speisekarte, und eine halbe Stunde später sitzt W. mit Chilli ohne Carne und ich mit einem Pappbecher Gemüsecurry am Schoß auf unseren Pritschen und schmausen.
In gebückter Haltung, da sich das mittlere Bett nicht nach oben klappen lässt. “Gibt schon Tisch, aber geht nix raus”, erklärt uns der Pakistani und deutet auf das Board unter dem Fenster. Nach dem Essen überziehen wir unsere „Betten“ mit der bereit liegenden Bettwäsche.
Dann begebe ich mich, mit einer Zahnbürste bewaffnet, auf die Suche nach einer Waschgelegenheit. Am Ende des Wagons werde ich fündig. Hinter einer Falttür aus Holz befindet sich in 20 cm Abstand zur Tür ein Waschbecken, darüber in Brusthöhe eine Ablage und ein Spiegel. Aufgrund meiner 176 cm Körpergröße ist es eine Herausforderung mich mit der Zahnbürste im Mund unter das Ablageboard zum Waschbecken zu ducken, ohne dabei mit dem Popo die Tür aufzustoßen. Mit der linken Hand, wohlgemerkt in seitlich gebückter Haltung, die Seife aus dem Gesicht zu spülen und dabei mit der rechten Hand den Wasserknopf nicht loszulassen, ist eine akrobatische Glanzleistung.
Zahnpasta-bespritzt, zurück im Abteil, möchte ich nur noch schlafen. Es ist kurz vor 23h. In Shirt, Pullover, Jacke, Jeans und dicken Socken hieve ich mich in die Briefmarkenformat-Pritsche und krieche unter die Decke. W. verriegelt das Abteil. Es rüttelt und schüttelt mich auf der kaum gepolsterten Unterlage. Und es ist laut. Der Zug rumpelt über die Schienen und quietscht in den Kurven. Ein Königreich für Ohropax!
Taufkerzengerade liege ich auf dem Bett. Ich kann nicht einschlafen und starre Löcher in die Finsternis. Ich überlege, wer aller in diesem „Bett“ keinen Platz hätte, und komme zu folgendem Entschluss: Mein Bruder, meine Schwester und mein halber Freundeskreis könnten niemals nie am Rücken liegend in diesem Bett schlafen. Da würde der halbe Körper über die Bettkante ragen und den restlichen auf den Boden ziehen. Kennt ihr das Bild des Malers Salvador Dalí mit der Uhr, die über einen Tisch hängt?
Gegen 2h werde ich von Harndrang geweckt. Schlaftrunken wanke ich zur Toilette ans Ende des Wagons. Anstellen ist angesagt. “Grrr!” Wieder im Abteil zurück, starre ich neue Löcher in die Luft. Mir ist kalt. Es gibt zwar einen Knopf zum Aufdrehen der Heizung, dem ist es aber egal, dass seine Position auf „warm“ steht.
© LisaGlücklich_amWeg 2022-09-26