Mit Ronald Reagan zum Bankraub

Hannes Stuber

by Hannes Stuber

Story

[1988] “Das ist doch genial”, sagte Jörg. “Reagan ist der mächtigste Mann der Welt. Jeder fürchtet sich vor ihm. Und dann noch sein Gesicht in einer hässlichen Faschingsmaske.” Er schüttelte bewundernd den Kopf und nahm einen tiefen Zug aus der Haschischpfeife und stieß den Rauch in kurzen hektischen Zügen aus wie bei einer Atemübung.

Wir lachten. Es war die Faschingszeit, und ein Mann hatte an drei aufeinander folgenden Tagen in Wien Banken ausgeraubt, am letzten Tag sogar gleich drei Filialen. Das laut Jörg Geniale daran war, dass der Bankräuber, eine abgesägte Pumpgun im Anschlag, eine große grässliche Halloween-Maske mit dem überzeichneten spöttischen Konterfei Ronald Reagans trug. Man erschrak unwillkürlich, wenn man dieser seltsamen, in Schwarz gekleideten Erscheinung gegenüberstand. Wie gesagt, Reagan war der stärkste Mann der Welt. Jeder Widerstand war zwecklos.

“Ich habe ihn gesehen”, sagte ich und nahm ebenfalls einen Zug aus der Haschischpfeife, die er mir reichte, und erzählte ihm von dem Vorfall. An einem der betreffenden drei Raubtage verließ ich eines Vormittags mein Ottakringer Wohnhaus und wollte die Thaliastraße überqueren. Vor meiner Nase steuerte ein kleiner PKW stadtauswärts, in dem ein mit der Maske Reagans ausstaffierter Mann saß. An diesem Tag hatte ich noch nichts von dem Bankraub gehört, mich nur gewundert über diesen absonderlichen Kauz, der mit einer Maske am Kopf ein Auto steuerte. In Wien schien alles möglich.

Tage danach saß ich in Jörgs Wohnzimmer am Augarten, mit Blick auf nichts als grüne Bäume, und diskutierte mit ihm diese Vorfälle, die in unserer ansonsten so friedlichen Stadt äußerst selten waren. Und dann noch mit einer Maske des Präsidenten des mächtigsten Staates der Welt. “Ein außergewöhnlich intelligenter Bankräuber”, sagte Jörg grinsend. “Wer kommt schon auf die Idee, diese hässliche Fratze einzusetzen, um die Menschen in der Bank zu schockieren. Die werden in das böse Gesicht Reagans blicken und nicht wissen, was los ist.”

Wir lachten wieder. Sicher trug auch das Haschisch dazu bei, dass wir diese schräge Idee dermaßen witzig fanden. Wenigstens war niemand verletzt worden. Später wurde der Bankräuber, den die Zeitungen wegen des Gewehres Pumpgun-Ronny nannten, doch geschnappt. Er entkam jedoch, indem er während des Verhörs aus dem im ersten Stock gelegenen Fenster des Polizeipostens sprang und auf einem Autodach landete. Als er einige Zeit darauf aufgespürt wurde, erschoss er sich schließlich im Auto, von der Polizei umstellt und ohne Chance auf ein Entkommen.

Was ihm zum Verhängnis wurde, waren nicht die Banküberfälle, sondern ein Mord, den er an einem Kollegen eines Arbeitsamtskurses schon früher begangen hatte. Weil dieser ihm mehrmals Zigarettenrauch ins Gesicht geblasen hatte, ging er eines Tages zu ihm und erschoss ihn vor dessen Wohnungstür. Das erfuhren wir erst später, daraufhin erschien mir dieser moderne Robin Hood nicht mehr so intelligent. Pumpgun-Ronny war definitiv kein netter Zeitgenosse. Friede seiner Asche.

© Hannes Stuber 2025-01-29

Genres
Novels & Stories
Moods
Abenteuerlich