Liebling, weißt du noch?
Als ich dich das erste Mal traf, kam meine Seele nach Hause. Ein Kirschbaum, der plötzlich in Blüte entfacht. In deinen Armen fühlte es sich an, als hätten wir schon hundert Leben zuvor gemeinsam verbracht. Körper im sanften Licht der Stehlampe aus dem Nebenzimmer.
Habe ich dir je erzählt, dass ich in meinem kleinen Badezimmer zusammengebrochen bin, als sich ein Teil von mir an unsere Vergangenheit erinnerte? Natürlich kann ich mich an keins unserer alten Leben erinnern, aber da waren verschwommene Bilder, wie aus einem wilden Fiebertraum. Haben wir Charleston auf Cocktail-Partys getanzt? Waren wir Künstler mit VW-Bus auf großer Weltreise? Waren wir glücklich?
Diese Nacht war das Fundament, das uns am Leben hält. Die nächste besondere Nacht war die erste Nacht in unserer ersten gemeinsamen Wohnung. Pizza auf dem Boden unter unserer alten Stehlampe. Ein leerer Raum mit einem frisch bezogenen Bett. Ich träumte vom Leben in der großen Stadt, von großem Erfolg und dem ganz großen Geld. Weißt du noch, was du in dieser Nacht geträumt hast?
Jahre später fuhren wir aufs Land mit unserem Hund auf der Rücksitzbank. Deutsche Wälder zogen an uns fast so schnell vorbei wie deutsche Autos. Wir schwebten durch Raum und Zeit. Deine Hand auf meinem Bein. Raststätten-Kaffee in meiner Hand, Fenster auf, Musik ganz laut.
Ich steige aus dem Flugzeug. Mit Handgepäck durch die Passkontrolle. Mit dem Taxi nach Hause. Zu dir. Jeder Tag, den ich von dir getrennt bin, ist nur halb. Halb ist mein Herz immer bei dir. Mein Leben ist ein komplexes Konstrukt aus Stunden-Wochen, Deadlines und blanker Panik. Doch du allein gibst mir die gesamte Ruhe der Welt.
Lang ist die kleine Wohnung mit der Stehlampe Geschichte. Aber du stehst noch immer in der Küche und singst Popsongs falsch mit. Ich küsse dich liebevoll und wir verharren in einer innigen Umarmung. Wir trinken den guten Wein zum Essen und gehen händchenhaltend durch den Park spazieren. Es ist ein sonniger Nachmittag. Die Sonne steht golden am Himmel wie sie es nur im Herbst vermag. Rot-goldene Blätter unter unseren Füßen, als du mir dein letztes Gedicht zeigst.
Wir sind alle verbunden
In unseren Wunden.
Wir sind alle Staub der Sterne.
Warum hab’ ich Dich so gerne?
Für mich warst Du der Mond
Und das Wasser war ich.
Gekämpft hab’ ich um Dich.
Nichts davon hat sich gelohnt.
Wir sind hier und doch nicht da.
Fragst mich, was ich will
Und plötzlich wird die Antwort klar.
Ich würd’ gerne bei Dir sein,
Doch mir geht’s leider besser
Allein.
© Leonie Winkler 2023-08-27