by IlkaMohrmann
Michael war überhaupt nicht begeistert. Er hatte sich dazu bereit erklärt, nach der Party mit zwei seiner Kumpels zu Fuß durch den Wald nachhause zu laufen. Marco war dann aber zwangsläufig abgesprungen, weil er gar nicht mehr laufen konnte. Jetzt ging Michael mit Christian an seiner Seite auf den Wald zu, der schwarz und gespenstisch zwischen der Partyscheune und seinem Zuhause lag.
“Wollen wir wirklich da durch?”, fragte er zweifelnd. “Da kann man ja keine zwei Meter weit sehen.”
Christian sah ihn von der Seite her an und nickte. “Ja klar, Mann! Wir laufen sicher eine dreiviertel Stunde länger, wenn wir außen herum gehen.”
Michael schluckte eine Antwort herunter und sah starr dem Wald entgegen, der mit jedem Schritt bedrohlicher vor ihm aufragte. Aber er wollte sich auch nicht die Blöße geben und vor Christian seine Angst gestehen. Also biss er die Zähne zusammen und stapfte weiter neben seinem Freund her. Als sie ein paar Meter in die Düsternis des Waldes gegangen waren, wurde beiden Männern klar, dass der Weg nicht ganz leicht werden würde. Keiner von ihnen hatte eine Taschenlampe dabei und das Licht der Smartphones gab nur einen sperrlichen Schein von sich. Nach ein paar Minuten war auch das Licht der letzten Straßenlaterne hinter ihnen verschwunden und der Wald umschloss die beiden jungen Männer von allen Seiten.
Als Michael ein Knacken hörte, zuckte er zusammen und griff nach Christians Arm. “Hast du das gehört?”
“Was gehört? Da war nichts.” Christian zog seinen Jackenärmel mit einem kleinen Ruck aus Michaels Hand.
“Da, schon wieder.” Michaels Herz begann zu rasen und er beschleunigte seine Schritte.
“Alter, jetzt entspann dich mal!”, fuhr Christian ihn an. “Hier ist außer uns niemand.”
Aber kaum hatte Christian das ausgesprochen ertönte abermals ein lautes Knacken hinter ihnen. Michael sah sich alarmiert um, obwohl er nichts als Schwärze sehen konnte. Er schauderte und seine Hände überzogen sich mit Angstschweiß.
Jetzt sah er, dass auch Christian sich umdrehte und einen kurzen, prüfenden Blick in die Dunkelheit warf. Aha, also hatte er es auch gehört.
Wieder ein Knacken. Michael beschleunigte seine Schritte abermals, stolperte mehr, als dass er ging, aber auch Christian schien sich nicht mehr ganz so sicher zu sein, wie noch vor zehn Minuten.
Es knackte wieder und Michael sog erschrocken und mit einem lauten Geräusch die Luft ein.
“Micha, beruhige dich mal”, motzte Christian ihn an, obwohl das Gebaren seines Freundes ihm langsam selbst ein mulmiges Gefühl bescherte. Er versuchte, Michael am Ärmel zurückzuhalten. Aber dieser sah ihn nur mit großen, angstgeweiteten Augen an. Michaels Gesicht wirkte im künstlichen Licht des Handys kalkweiß.
Jetzt hörte auch Christian die Geräusche hinter ihnen und ein Schaudern lief über seinen Körper, während Michael ein angstvolles Wimmern von sich gab.
Mit einem Mal überkam Christian blanke Panik und nun war er es, der seinen Freund am Arm packte und ihn mitriss. Nie wieder würden sie die Abkürzung durch den Wald nehmen, das schwor er sich!
© IlkaMohrmann 2023-12-24