Narzissmus in Mode

Flonie

by Flonie

Story

Das Caravaggio-GemĂ€lde mit dem JĂŒngling, der sich zum ersten Mal in einer glatten WasseroberflĂ€che erblickt und bis zu diesem Zeitpunkt nicht gewusst hat, wie er aussieht, ist ĂŒberrascht, wie schön er ist. Er verliebt sich sofort in sich selbst.

Am Heimweg vom Museumsbesuch denkt Doris nach, wie schrecklich sie als Jugendliche ausgesehen hat. Doris war in ihrer PubertĂ€t von unreiner Haut geplagt und fĂŒrchtete sich davor, in den Spiegel zu sehen. Doch im Laufe der Jahre beruhigte sich ihre Haut und sie begann, ihr Spiegelbild zu mögen. Sie sieht sich nicht nur an, um sich die ZĂ€hne zu putzen und das Gesicht zu waschen und doch fand kein kleiner Handspiegel je Platz in ihrer Tasche. Doris beobachtet anderen um sie herum, die oft in den Spiegel schauen, sich zurechtrĂŒcken, um sich dann mit einem Schmollmund zu fotografieren. Der Narzissmus ist salonfĂ€hig geworden. Doris ist ĂŒberrascht, wie viel Zeit, Geld und Aufwand betrieben werden, um sich auf das Ă€ußere Erscheinungsbild zu konzentrieren. Gut geschminkt, mit 5cm langen Wimpern, mit Filtern ĂŒbersĂ€t und nach Anerkennung lechzend wird ein Foto gemacht, um sofort gepostet zu werden. Doris denkt darĂŒber nach, wĂ€hrend sie durch die Straßen geht. In einer Auslage eines AntiquitĂ€tenhĂ€ndlers entdeckt sie ein Frisierset im Jugendstildesign. Der Spiegel ist besonders schön gearbeitet. Damals 
 war alles anders oder glaubt Doris nur, dass es anders war. Frauen hatten den Druck rechtzeitig unter die Haube zu kommen, um versorgt zu sein egal in welcher Gesellschaftsschicht.

Doris hĂ€ngt ihren Gedanken weiter nach. Das Photo ist, seit dem Wisch-und-Weg GerĂ€t, kein Spiegelbild. Es ist ein Vorschlag, wie ausgesehen werden soll. Sie will diesen Trend nicht mitmachen. Sie ist froh, dass sie sich nach vielen Jahren der Selbstzweifel endlich akzeptiert, wie sie ist und nicht wie ein GerĂ€t glaubt, dass sie sein soll. Doris bedauert, dass die beobachtete Selbstverliebtheit durch Social Media Raum und Zeit gewinnt. Sie hat selbst die Erfahrung gemacht, dass ein geposteter Text allein keine Beachtung findet. Es muss mit Selfie sein und noch besser ein Video, zweiteres lĂ€sst sie an der Technik scheitern. Sie fragt sich, ob die scheinbar makellose Fassade zufrieden macht oder von den inneren Defiziten ablenkt. Die Menschen scheinen ihr nicht glĂŒcklicher zu sein, im Gegenteil.

Doris‘ Tag endet auf einer Dachterrassen-Bar mit Blick auf den Stephansdom. Die Sonne geht unter. Sie prostet dem Steffl mit einem Glas Sekt zu und lĂ€chelt ihn an umgeben von Personen, die sich in Szene bringen und Selfies machen. Ein Mann neben ihr verschafft sich Aufmerksamkeit „Sie strahlen ĂŒber das ganze Gesicht, hatten Sie einen guten Tag?“


© Flonie 2023-12-20

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