Neujahrsvorsatz

Ivana Vrdoljak

by Ivana Vrdoljak

Story
Wien 2022

Anfang Jänner 2022

Instagram soll inspirieren, heißt es. Manipulieren fände ich treffender. Ich hatte bis vor meinem zwanzigsten Lebensjahr kein Instagram, hielt es nie für nötig. Ab Studienbeginn aber entschied ich, dass ich es brauchen könnte. Heutzutage kommuniziert man ja hauptsächlich über soziale Medien, so auch meine Uni. Abgesehen vom Unikram sah ich noch viel mehr, als ich vorgehabt hatte. Ich sah ständig diese fitten, durchtrainierten jungen Frauen mit Sixpack und Knackärschen in meinem Instagram-Feed. Dieses richtete sich offenbar nach meinen Interessen. Und offenbar waren meine Interessen … was, Frauenärsche? Wohl kaum. Ich realisierte, dass ich Stunden damit zubrachte, mir die Workout-Pläne dieser wohlgeformten Frauen anzusehen. Zu Silvester hat man halt nichts Besseres vor. Plötzlich stieß ich auf eine anscheinend so berühmte Person, dass ich sie, ohne mich je zuvor mit Fitness beschäftigt zu haben (abgesehen von meiner fanatisch ausgelebten Laufbegeisterung, die ich in den letzten sechs Monaten entwickelt hatte), sofort erkannte: Pamela Reif. Ich sah einen Videoclip, in dem sie auf einer Bühne im Abendkleid dutzende Klimmzüge machte. Dass so viel Kraft in diesem schlanken Körper steckte, wusste ich gar nicht. Wow, dachte ich. Das will ich auch können. Innerhalb von einer halben Stunde hatte ich mich mit sämtlichen von ihr hochgestellten Beiträgen, Storys und YouTube-Videos vertraut gemacht, ihre sogenannte PamApp heruntergeladen und mir fest vorgenommen, gleich morgen mit ihren Workouts anzufangen. Ich hatte zwar nicht einmal eine Gymnastikmatte, geschweige denn ausreichend Platz in meinem Zimmer (der Nachteil, wenn man gemeinsam mit drei Geschwistern noch bei den Eltern wohnt), doch der Entschluss stand fest. Das würde der erste Neujahrsvorsatz werden, an den ich mich auch wirklich hielt.

Ich bereute diese Entscheidung am nächsten Tag sofort. Schon nach der ersten Minute merkte ich, dass das nichts für mich war. Das Mädel machte ja gar keine Pausen zwischen den Übungen. Und mit welcher Geschwindigkeit sie diese mörderischen Bewegungen ausführte, mit welcher Leichtigkeit! Ich war sauer auf mich selbst, weil ich nicht mithalten konnte. Ich suchte vergebens nach einem Video von ihr, in dem das Anforderungsniveau nicht allzu hoch war. Titel wie “Beginner Workout” klangen vielversprechend, entpuppten sich jedoch als vollkommene Lüge. Das machte mich nur noch wütender. Unmöglich, dass ich nicht einmal das schaffe! Mein Ehrgeiz flammte auf und ich kämpfte mich auf dem muffigen Teppich verbissen durch jede einzelne Übung der ersten fünf Minuten. Danach ging wirklich nichts mehr. Die restlichen fünfzehn Minuten spulte ich im 10-Sekunden-Takt vor und sah mir an, was ich noch hätte leisten müssen, während ich wie eine Puppe dalag und nach Atem rang.

Die Niederlage ließ ich nicht lange auf mir sitzen. Nachdem der Großteil des Muskelkaters vom ersten Mal abgeklungen war (sprich nach einer Woche), versuchte ich es erneut. Und erneut. Und erneut. Bis ich durchhielt. Erfolg macht einen so euphorisch. Fast schon in derselben Sekunde, in der man ein Ziel erreicht, setzt man sich das nächsthöhere. Zumindest war das bei mir so. Aus 20 Minuten Training am Tag wurde eine Stunde. Aus einmal in der Woche wurden sechsmal.

© Ivana Vrdoljak 2023-08-27

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