Nightmare im Nightjet (1): Die Hinfahrt

JanGroenhain

by JanGroenhain

Story
Villach- Cinque Terre 2023

Ligurien mit seiner Steilküste und den malerischen Dörfern hatten wir als Reiseziel für ein verlängertes Wochenende auserkoren. Ich hatte entdeckt, dass es einen Nightjet der ÖBB von Wien über Venedig und Mailand nach Genua und weiter bis La Spezia gibt, ganz ohne Umsteigen. Das schien verlockend und versprach eine stressfreie Reise. So buchte ich die Hin- und Rückfahrt.

Um halb ein Uhr nachts stiegen wir in Villach zu. Nachdem im Abteil des Liegewagens schon alles still und abgedunkelt war, schlichen wir tappend und so geräuschlos wie möglich hinein. Wir entledigten uns eines Teils unserer Kleidung und rutschten auf die unteren Liegen, unser Gepäck vorsichtig darunter schiebend. Das Rattern des Zugs war einschläfernd, sodass wir mehr Schlaf als erwartet fanden. Da half auch, dass kein Schnarcher anwesend war. Doch morgens um sechs war es vorbei mit Schlummern, wir waren dank der inneren Uhr und der unbequemen Lage hellwach. Doch die fremden Reisebegleiter im Abteil machten keinerlei Regung und gaben sich noch den Träumen hin. Auch um sieben Uhr bewegte sich noch gar nichts, weder akustisch noch physisch. Bemerkbar machte sich nur der Druck auf meiner Blase. Der bewog mich und uns, möglichst lautlos und rücksichtsvoll das Abteil zu verlassen und die Morgentoilette zu absolvieren. In den anderen Abteilen war bereits reger Betrieb, nur bei uns herrschte noch dunkle Stille.

Als um halb acht das Zugservice schließlich das Frühstück servierte und dazu notwendigerweise das Licht einschaltete, regte sich langsam was. Der Mann auf der linken Mitteletage erhob sich endlich, suchte ebenso nach der Toilette. Da hüpften plötzlich von ganz oben, knapp an mir vorbei, zwei junge Burschen herunter, schnappten ihre Siebensachen und entflohen eilig dem Abteil. Die hatten wir zuvor gar nicht bemerkt. Kurz darauf schlürften wir zu dritt, mit dem Mann von Mitte links, gebückt nebeneinandersitzend, da ja die eine Mittelliege ja noch belegt war, unseren Kaffee. Die Semmel bekam unseren Unmut durch kräftige Bisse zu spüren. Unser bisheriges Flüstern wurde zunehmend lauter, weil sich auch um acht Uhr auf der Liege rechts noch immer nichts regte. Zischende Kommentare unsererseits wie „der soll doch endlich seinen Hintern heben“ waren zu hören.

Als der dort liegende junge Mann dann doch erste Bewegungen zeigte und am Handy zu wischen begann, sonst jedoch keinerlei Anstalten machte, war es mit der Geduld vorbei und es entspann sich ein heftiges Wortgefecht. Der selbstbewusste Schnösel mit Fünftagesbart und italienischem Akzent meinte, man müsse ihn schon höflich und direkt fragen, ob er denn aufstehen möchte. Denn er wäre es, der auf die anderen Fahrgäste Rücksicht nehmen würde und nur deswegen so lange da oben geblieben wäre, um uns nicht zu stören. Schließlich hätte er noch vier Stunden zu fahren und bräuchte deshalb Ruhe. Endlich bequemte er sich herunter. Er wäre noch länger liegen geblieben, doch aus Höflichkeit würde er nun sitzend weiterreisen, ergänzte er. Als er dann noch brabbelte, dass viele Leute heute keinen Respekt vor der Jugend hätten, lief das Fass über und es kam fast zu Handgreiflichkeiten. Da fühlte er plötzlich den Schmerz der ihn treffenden tödlichen Blicke und er verließ das Abteil.

© JanGroenhain 2023-11-02

Genres
Novels & Stories, Travel
Moods
Herausfordernd, Emotional, Komisch
Hashtags