Langsam bewege ich meinen Fuß vorwärts und strecke ihn aus, sodass meine große Zehe ins Wasser taucht. Das Wasser fühlt sich komisch an. Es ist nicht kalt oder unangenehm, aber es fühlt sich anders an als die Luft, die meinen restlichen Körper umgibt. Vorsichtig lehne ich mich ein wenig weiter nach vorne, bedacht darauf mein Gewicht auf meinem hinteren Fuß zu lassen und beginne mit meinem anderen Fuß kleine Kreise in das Wasser zu malen.
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Ich liebe es anderen Menschen dabei zuzuhören, wenn sie über ihr Leben erzählen. Geschichten über ihre Vergangenheit und all die Abenteuer, die sie erlebt haben, über die Menschen, denen sie begegnet sind und die Momente, die sie mit ihnen erleben durften. Erzählungen darüber, wie sie früher waren und über all jene Momente, die sie zu den Menschen gemacht haben, die sie jetzt sind.
Oft frage ich mich dann, warum ich so bin wie ich bin. Welche Menschen und Momente haben mich am meisten beeinflusst? Was ist meine Geschichte?
Ich denke meine Geschichte beginnt in dem Moment, in dem mir bewusst wurde, dass Liebe nicht selbstverständlich ist. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, wie alt ich war. Neun, vielleicht zehn. Möglicherweise war ich auch ein bisschen jünger oder ein, zwei Jahre älter. Woran ich mich jedoch genau erinnere, ist das Gefühl der unglaublichen Unsicherheit, die damals in meinem Kopf herumschwirrte.
Es war nicht das erste Mal, das ich traurig oder enttäuscht war und es war auch nicht das erste Mal, dass ich verwirrt über die Welt der Erwachsenen war. Aber es war das erste Mal, dass mein perfektes Weltbild ins Wanken geraten ist.
Ich hatte das Glück von einer unglaublich liebevollen Mutter erzogen worden zu sein, und umgeben von einer ebenso fürsorglichen Familie aufzuwachsen. Man hielt zusammen, war füreinander da und liebte sich über alles, auch wenn man sich manchmal gegenseitig erwürgen wollte. Daher wuchs ich in dem Gedanken auf, dass es in einer Familie selbstverständlich ist sich zu lieben.
Umso größer war der Schock, als sich die Mutter meines Vaters erneut scheiden ließ und der Mann, den ich für Familie gehalten hatte, plötzlich verschwand. Ich war zu jung um zu verstehen, dass er nicht mein Großvater war und daher nicht direkt mit mir verwand, doch was ich sehr wohl verstand war, dass der Mann, den ich für Familie gehalten hatte, mich nicht liebte, oder zumindest nicht genug, um mich sehen zu wollen.
Ich war noch ein Kind, doch plötzlich wurde mir klar, dass ich kein Anrecht auf Liebe hatte. Ich war auf einmal mit einem Gedanken konfrontiert, dass ich eventuell nicht gut genug war, um geliebt zu werden.
© NatalieCecilia 2021-08-14