Nur drei Sachen

Lea G.

by Lea G.

Story
Deutschlands 1941

Mama hat gesagt, ich darf in meinem Koffer nur das Wichtigste mitnehmen. Wir werden von einem Zug abgeholt. Mit dem machen wir uns dann auf eine Reise. Eine Reise ins Ungewisse hat Mama gesagt. Deswegen packe ich auch nur drei Sachen in meinen Koffer. Ich packe meinen Koffer und nehme als Erstes mein liebstes Kuscheltier mit. Es ist ein weißes Schaf. Es hat ganz große Glubsch-Augen. Und Mama sagt immer, das Schaf lĂ€chelt dich an. Wenn ich einschlafe, passt das SchĂ€fchen auf mich auf. Ich packe meinen Koffer und nehme als Zweites eine große Packung von meinem LieblingsgummibĂ€rchen mit. Mama hat nĂ€mlich gesagt, dass diese Reise ins Ungewisse lange dauern könnte. Und ich glaube fĂŒr jede gute Reise ins Ungewisse braucht es Proviant. Und wenn wir angekommen sind, bleiben bestimmt auch noch ein paar GummibĂ€rchen fĂŒr mich ĂŒbrig. Ich packe meinen Koffer und als Drittes nehme ich mit ein kleines BĂŒchlein mit Stiften. Ich glaube, sowas ist bei einer Reise ins Ungewisse ganz nĂŒtzlich. Wenn mir langweilig ist, dann kann ich einfach ein Bild malen. Oder ich schreibe, was ich so tolles sehe auf der Reise mit dem Zug. Oder ich male meine Mama. Oder die vorbeiziehenden BĂ€ume, wenn es welche gibt. Eine Reise ins Ungewisse ist schon sehr interessant. Mama hat mir noch ein paar Sachen fĂŒr den Koffer gegeben. Ein paar Anziehsachen, noch ein paar Lebensmittel und meine ZahnbĂŒrste. Ich bin gespannt darauf, wo uns der Zug wohl hinbringt. Und ich hoffe, es ist warm da. Am liebsten wĂŒrde ich natĂŒrlich all meine Freunde mitnehmen. Am allerliebsten meine beste Freundin Julia. Mama hat aber gesagt, sie darf nicht mitkommen. Nur bestimmte Menschen dĂŒrfen mit dem Zug mitfahren. Und mit nur einem Koffer eine Zugreise ins Ungewisse machen. Ich werde Julia vermissen. Julia hat gesagt, sie wĂŒrde mich auch vermissen. Ein bisschen sauer, dass sie nicht mit dĂŒrfte wĂ€re sie aber schon. Julias Mama hatte wohl zu ihr gesagt, dass wohl nur Juden und JĂŒdinnen damit fahren dĂŒrfen. Deswegen dĂŒrfen meine Mama und ich gemeinsam auf die Reise ins Ungewisse. Und natĂŒrlich so eine Zugreise mit nur einem Koffer zu einem unbekannten Ort macht schon ein wenig Angst. Und traurig auch irgendwie, weil am liebsten wĂŒrde ich natĂŒrlich hier bei meinem zu Hause bleiben. Bei meinen Freunden, bei meiner Schule, bei den vielen Wiesen und WĂ€ldern wo ich immer so toll mit meinen Freunden spielen kann. Aber irgendwie ist so eine Reise auch sehr spannend. Julia hat gesagt, ich hĂ€tte großes GlĂŒck, dass ich hier endlich wegkomme. Sie möchte, wenn sie groß ist, unbedingt raus aus dem Ort, aus dem Dorf. Sie möchte in eine große Stadt. Berlin, vielleicht. Das kann ich nicht verstehen. Ich meine, ich finde es schön hier. Hier wo ich alle kenne. Meine Freunde, meine Familie und die Menschen im Ort. Aber so eine Zugreise ins Ungewisse ist trotzdem interessant. Bestimmt kommen Mama und ich auch irgendwann wieder nach hier zurĂŒck. Und dann kann ich Julia ganz viel erzĂ€hlen. Vielleicht fahren wir ja sogar nach Berlin. Oder in eine andere große Stadt. Oder wir fahren in ein Dorf. Vielleicht sogar eines, was ein bisschen Ă€hnlich, wie mein Zuhause ist. Vielleicht muss ich das dann alles gar nicht mehr so sehr vermissen. Weil es halt ein bisschen Ă€hnlich ist. Vielleicht finde ich da dann Freunde und es gibt da eine Schule. Da stehen Mama und ich jetzt also an den Bahnschienen und warten auf den Zug, der uns abholt. Viele Menschen sind um uns herum. Auch sie steigen in den Zug ein. Alle nur mit einem Koffer. FĂŒr die Zugreise ins Ungewisse.

© Lea G. 2025-03-18

Genres
Novels & Stories
Moods
Abenteuerlich, Emotional, Hoffnungsvoll, Traurig
Hashtags