by Aurelia K
Nur noch einmal … sichergehen, dass der Herd aus ist. Sichergehen, dass der Wasserhahn nicht tropft. Sichergehen, dass der Kühlschrank zu ist, die Türe versperrt ist, die Geldtasche eingepackt. Puh.
Geschafft, ich laufe das Stiegenhaus hinunter. Nur noch einmal Therapie, dann bin ich fertig. Bin ich dann fertig? Ein fertiges Ich, ein lebensfähiges Wesen, das einfach die verdammte Tür schließen kann, ohne einen Schweißausbruch zu bekommen, ohne dreihundertmal daran zu rütteln, weil ich mir selbst nicht vertraue? Bin ich endlich dabei, mir zu vertrauen? Auch wenn mir so viel immer noch so schwerfällt? Nett zu mir zu sein, mir nichts zu verbieten – keine Freude, kein Essen, keine Liebe. “Ich entscheide mich für etwas Schönes”. Der Satz ist in der Therapie oft gefallen, ich sage ihn mir oft vor, aber das Verinnerlichen fällt schwer. Vielleicht wird es einfacher, wenn ich ihn mir tätowieren lasse. Unter der Haut können sich die Worte ausbreiten und ihre ganze Wirkung entfalten.
Nur noch einmal meine Therapeutin sehen, nur noch einmal aus ihrem Mund den Spruch hören. Ich werde ganz sicher weinen, mit Verlust konnte ich noch nie gut. Halt, es ist kein Verlust, ich kann jederzeit zurückkehren. Warum fühlt es sich dann wie eine Trennung an? Ist das, wie sich einvernehmliche Trennungen anfühlen? Respektvoll, voll gegenseitiger Liebe? Ich kenne nur Drama und großen Herzschmerz. Vielleicht kann ich das auch noch lernen. Das gehört auch zur Therapie, den Abschied üben, lernen.
Ich liebe meine Therapeutin, wir kennen uns seit 6 Jahren, besser gesagt, sie kennt mich besser als jede andere, besser als ich mich selbst. Ich bin schon weit gekommen und doch noch so weit entfernt. Trotzdem haben wir uns dazu entschlossen, nach 6 gemeinsamen Jahren, dass ich mal ohne Stützräder fahren lerne. Wohin, das wird sich noch herausstellen. Und überhaupt – weit entfernt wovon? Mit mir im Reinen zu sein? Das ist doch sowieso utopisch. Kleine Ziele, das sollte mein Ziel sein. Mehr im Reinen sein, check. Netter sein, check. Akzeptieren, dass manche Probleme einfach Teil von mir sind und nie ganz verschwinden werden – nicht check. Finde ich immer noch uncool, unpraktisch, unfair. Sich ausbreitender Zwang, rotierende Gedanken, automatisch den Bauch und den Kopf einziehen. Bitte lieber Gott, ich glaube nicht an dich, aber ich würde, wenn es heißt, dass ich zur Ruhe kommen kann.
In der U-Bahn, gleich bin ich da. Ich muss mich vorbei an ein paar Leuten drängen, um zur Türe zu kommen. Warum habe ich so Angst? Wovor habe ich so Angst? Meine Güte REISS dich zusammen. Nein halt, das ist nicht nett. Bitte reiß dich zusammen. Bitte hab keine Angst. Lieb sein. Nur noch einmal… Tränen schießen mir in die Augen. Nur noch einmal? Was ist, wenn ich alleine nicht kann? Hab ich dann in Therapie versagt? OK halt, alleine bist du nicht. Chill. Gonna be okay. Ich läute an.
Charlotte! Nur noch einmal!
© Charlotte Aurelia 2025-07-19