Das Geheimnis vonAegopodium podagraria,auch Erdholler genannt
Müde war sie, sehr müde. Schwer in den Beinen und so voll im Kopf von einem scheinbar nicht enden wollenden Arbeitstag ging sie in Richtung Garten. Eigentlich wusste sie nicht so recht warum und was sie da wollte. Sie ging einfach.
Wie immer mit einem Kübel für ausgezupftes Unkraut und einer kleinen Harke und einer Schaufel.
Sie öffnete das schon in die Jahre gekommene Gartentor, das schief in den Angeln hing und stand einfach nur da – mitten in ihrem Garten.
Sie spürte eine große Leere und sonst nichts. Genauso lag der Garten für sie da. Leer. Irgendwie nur grün, Erde, ein paar Blumen – alles schien so unbeseelt, ohne Zugang. Sie kniete sich nieder und begann ohne erheblichen Grund Erdholler auszureißen. Einfach weil er da war und vielleicht weil ihr Gartenunterbewußtsein ihr zuflüsterte, dass er weg muss. Ein Unkraut. Je mehr sie ausriss, an ihm riss, umso wütender wurde sie – wütend auf den Tag, auf die Arbeit, auf das Leben, auf den Erdholler. Wie wild harkte sie in die Erde, stach mit der kleinen Schaufel nach, zog an den langen weißen Wurzeln und riss Stück um Stück aus. Gemein empfand sie es, fast hinterhältig wie sich die kleinen noch jungen Brennesseln unter dem Erdholler verstecken, um sie dann erbarmungslos zu brennen sobald sie zugriff. Ein Gemetzel an großen und kleinen Erdbrocken, durchzogen von diesen unverschämten abgerissenen weißen Wurzeln des Erdhollers lag vor ihr.
Sie begann die Erdbrocken zu zerbröseln, die restlichen Wurzelstücke auszuzupfen und allmählich wurden ihre Bewegungen langsamer und auch friedlicher. Sie säuberte die erdhollerfreie Zone nochmals mit ihrer kleinen Harke so als würde sie zusammenkehren, Ordnung machen. Zufriedenheit schlich sich dabei ein. Sie war auf einmal da, da in ihrem Garten und versunken im Tun. Ihre Finger fühlten sich schon ein wenig rauh an von der Erde und sie genoss es deren kühle Feuchtigkeit zu spüren. Ihr Garten nahm Gestalt an und ganz leise wandelte sich auch ihr Tun – es gewann Lebendigkeit.
Das Grün war jetzt nicht nur einfach leblos grün sondern sie sah die einzelnen Blätter, welch schöne Form sie hatten, welch unterschiedliche Farbtöne, bewunderte ihre Symmetrie. Sie sah die strahlenden Farben der Blumen – war erstaunt welch wunderbare Farben die Natur hatte und wie jede einzelne Blüte ein Gemälde war.
Ihr Staunen war wieder da, ihre Phantasie, ihre Freude.
Sie blieb noch eine Zeit lang in ihrem Garten und schaute. Die Leere in ihr war noch immer da, aber sie war nun beseelt, lebendig. Sie konnte sie fühlen. Als hätte sie Kontakt aufgenommen zu all dem was der Garten ihr offenbarte. Der Garten war einfach da, bedingungslos.
Allmählich wurde es kühl und sie nahm wieder ihren Kübel und ihre Werkzeuge und ging Richtung Haus. Diesmal fühlte sie sich leichter und voll Freude und Zufriedenheit.
© Jutta Molterer 2021-04-25