Durch das Autofenster kann er sehen, dass seine Tochter wach wird. Sie dreht ihren Kopf in verschiedene Richtungen, bemüht sich ihre Augen zu öffnen. Schließlich dringen Weinlaute aus dem Auto.
Als er die Tür zu ihr öffnen will, dröhnt Mama: „Lass das! Ich kriege sie schon zur Ruhe. Wenn du das machst, hört die nicht auf und hat dann lauter Heulflecken, die ich mit Make-up abdecken muss! Das schaffe ich nie und nimmer. Immer musst du trödeln.“
Er spart sich, sie daran zu erinnern, dass es kein bisschen an ihm lag, verspätet gestartet zu sein. Denn sie konnte sich nicht entscheiden, welches das knappere Outfit ist. Wie zu den anderen Wettbewerben wollte sie auf mütterliche Reize setzen.
„Aaah.“ Hart knallt der Absatz auf seinen Turnschuh. Absicht? Oder Versehen? Unsicher wie eh und je, übt sich Papa in Zurückhaltung.
„Oooh oooh oooh, Tami, es ist gut. Mami ist bei dir.“
In geübtem Griff holt die Frau das Kind aus dem Auto.
„Ooooohlezaaaaahn“
„Hast du nicht gehört, was sie will! Los, such!“
Seine Augen kreiseln von rechts nach links, dann wendet er sich ab. Mehrfach seufzend, wühlt er wieder im Kofferraum. In Nächten wie dieser, fragt er sich, was in seinem Leben schiefging. Welche Abzweigung hat er verpasst?
Ihm fällt ein harter kühler Gegenstand in die Hände. Wie üblich hat seine Frau eine Flasche Sekt für den Sieg dabei.
Schulterzuckend öffnet er sie und genehmigt sich einen Schluck. Und noch einen und noch einen. Wärme ergreift seinen Bauch, strömt über seine Schultern, erfasst seine Wangen. Während seine Frau mit vielen “Sch´s” ihre gemeinsame Tochter zu beruhigen versucht.
Motiviert wühlt er weiter. Dann spürt er in den Untiefen des Autos er etwas Flauschiges. Es lässt sich zusammendrücken. Nach einigem Gezerre hält er ein Plüschkissen in Drachform in den Händen.
Plötzlich hält ein Auto hinter ihm. Ein kurzer Sirenenton und blaues Licht warnen ihn vor dem drohenden Unheil.
Tausend Gedanken rasen ihm durch den Kopf. Keinen einzigen kann er festhalten.
Die Worte des Polizisten dringen dumpf zu ihm. Kaum zu verstehen.
„Herr Officer! Wie nett, dass Sie anhalten. Ich habe der hübschen Dame nur etwas geholfen. Eigentlich war ich auf dem Weg nach Hause von der Disse. Da hielt die Gute hier an und suchte verzweifelt das Kissen ihrer Tochter.“
Wie zum Beweis haucht er dem Polizeibeamten seinen Atem ins Gesicht und drückt ihm das Kuschelkissen “Olezahn” in die Hand.
Zum ersten Mal in seinem Leben sieht er eine Abzweigung. Elegant hüpft er über die Leitplanke und lässt alles hinter sich.
© Sabrina Meinen 2023-08-18