by Erich Stöger
Als ich vor wenigen Tagen bei einem Familienbesuch deren Kinder so nebenbei von Geheimnissen sprechen hörte, fiel mir eine Episode ein, die mich zu dieser Geschichte verleitete. Irgendwann im vergangenen Sommer, Lux war wieder einmal alleine bei mir und wir verbrachten, wie immer, eine schöne Zeit miteinander. Ausgemacht war, dass ich ihn nach Wien zurückbringe.
Wenn er in meine Wohnung tritt und sich seiner Schuhe und der nicht gebrauchten Kleidung entledigt hat, streift sein Blick bereits zu meinem kleinen Beistelltisch unter dem Fenster. Er weiß, dass dort immer eine Kleinigkeit für ihn bereitsteht. Ob Stofftier, Buch oder andere kleinere Spielsachen findet er auch zumeist ein wenig Süßigkeiten. Ich und auch er wissen, dass das von beiden Elternteilen nicht unbedingt erwünscht ist. Aber trotzdem, es geht halt nicht ohne! Er isst die wenigen Süßigkeiten vom Tisch nie gleich ganz auf, er weiß, dass die Eltern das nicht gerne sehen. Sind wir aber alleine, nehme ich erstmals wahr, dass er mit seinem Zeigefinger die geschlossenen Lippen berührt und dann leise in mein Ohr flüstert: Geheimnis, und deutet an, mit meinem Einverständnis, heimlich zu naschen! Ich bin überrascht. In diesem Moment bin ich nicht der Opa, sondern sein Verbündeter! Das ist neu und innerlich amüsiert es mich. Wir sind wie gesagt, plötzlich Verschwörer!
Spätnachmittags heimkommend aus der Stadt, vom Garten oder irgendwelchen anderen Unternehmungen, stehen alsbald unweigerlich, zeitunabhängig zwei Fragen im Raum: Opa, gibt’s heute noch Nascherei und Fernsehen? All das wäre wahrscheinlich einfach und kurz zu beantworten. Ist es aber nicht! Er ist schlau und weiß, Opa ist nicht gleich Papa oder Mama.
Wenn tagsüber die Frage nach Naschereien auftritt, wird immer zuerst auf die kommende Mahlzeit hingewiesen. Natürlich versuche ich, ihm eine gewisse Abwechslung schmackhaft zu machen. Es gibt Favoriten, aber einiges ändert sich doch. Im Toast kein Käse, dafür Salami oder Speck, und keine Butter. Müsli mit Rosinen, eventuell Banane, aber momentan kein Apfel. Das Spiegelei „over“ hat ihm sehr gefallen, mit Schinken. Die zweite Frage die garantiert folgt: Opa, kann ich fernsehen? Natürlich darf er, aber zu gegebener Zeit und mit Zeitlimit oder Folgenlimit. Das habe ich von seinem Papa gelernt! Mama handelt aber meist auch nach diesem Prinzip.
Vielleicht war ich überfordert, vielleicht auch ein wenig fiebrig, ich fühlte mich einfach nicht wohl. Grund dafür, meinen Sohn zu bitten, Lux schon in Heiligenstadt abzuholen, da ich mir Schnellbahn und Wohnung sparen und sofort nach Krems zurückwollte. Gesagt, getan. Der herzlichen Begrüßung folgte die obligatorische Frage des Vaters: Lux wie war es bei Opa? Und was antwortet Lux sofort und voller Freude: Schön! Viel Spielen! Viel Naschen! Viel Fernsehen!
Ich fühle mich „hintergangen“ und Lux tollt mit seinem Papa glücklich weiter. Papa und ich tauschen einander Blicke aus und beide müssen wir schmunzeln.
Ja, soviel zu unseren Geheimnissen!
© Erich Stöger 2023-11-19