by Maria Lodjn
Nie im Leben
„Wo kommen alle diese Falten her?“, will Paula wissen.
„Weißt du, warum Bäume Altersringe haben, Paula?“
Ja, davon hat Paula gehört. „Du hast die, weil du schon sehr alt bist, oder?“
„Richtig, du Genie. Steinalt bin ich“, jubelt die Fremde.
Ah ja! Steinalt, also. Paula überlegt, wie alt Steine sein können. Das wird zu kompliziert. Frau Huber ist alt. Wie alt sie ist? Mama schenkt ihr immer eine Schachtel mit Schnapspralinen zum Geburtstag. Frau Huber hat auch Falten im Gesicht, aber so verknittert ist sie nicht.
„Du bist älter als Frau Huber, oder?“ Mist! Das Du ist Paula rausgerutscht. Unhöflich!
„Ist die Frau Huber die Alte in deinem Haus? Nein, ich bin viel älter!“ Die Fremde legt den Kopf schief, schiebt ihren Hals nach vorn und guckt Paula mit großen Augen an. „So alt, dass du es gar nicht begreifen kannst. Als in Wien die Straßenbahn von Pferden gezogen wurde, habe ich schon gelebt.“
„Wow!“ Paula staunt und lacht. Im Sachunterricht hat sie mal ein Foto von einer Pferdestraßenbahn gesehen.
„Lach nicht, das ist wahr! Und weißt du, was großartig ist? “
„Keine Ahnung!“ Paula hat sowieso das Gefühl, dass sie das alles gerade träumt.
„Wir zwei, also du und ich, haben am gleichen Tag Geburtstag.“
„Am siebten Februar? So ein Zufall!“
Woher weiß die, wann ich Geburtstag habe, überlegt Paula. „Das nächste Mal feiern wir zusammen. Mit diesen leckeren Apfel-Chips, deiner Mama und dir.“ Die Alte geht drei Schritte auf Paula zu, will sie umarmen. Paula weicht zurück. Geht gar nicht, Umarmungen von Fremden.
„Schon gut! Du weißt ja nicht einmal wer ich bin. Aber, du könntest mich fragen, wer ich bin.“ Die Frau stolziert durchs Wohnzimmer. Bleibt stehen, dreht sich im Kreis und lacht so laut, dass der Angstkäfer aufwacht. „Die muss aus deiner Wohnung raus“, flüstert er Paula ins Ohr.
„Guck mich an. Wer könnte ich sein?“
„Keinen blassen Schimmer hab ich“, antwortet Paula verzweifelt.
„Ich bin das Märchen. Die Erfindung deiner Mama. Ich bin die, die es gar nicht gibt. Na? Fällt der Groschen?“ Wieder lacht sie laut und schrill.
Oh du Schreck. Paula spürt, wie ihr übel wird. Das ist? Das kann nicht sein! Oder, doch? Sie will was sagen, aber kein Ton kommt aus ihrem Mund, weil der Angstkäfer auf ihren Stimmbändern hockt.
„Spuck es aus, Paula. Sag das, was du vermutest. Trau dich!“ Die Frau klopft Paula fest auf den Rücken, so als würde ihr ein Apfelbrocken im Hals stecken.
„Du, du … du bist Malista de…..?“, stammelt Paula.
„Richtig! Ich bin die großartige, die unvergessliche, die wunderbarste Hexe weit und breit. Gestatten, Malista de Passer.“ Sie verbeugt sich und wirft Paula Kusshände zu.
Paula zwingt sich Malista genauer anzugucken. Kleiner Kopf, auf dem der Mund fast keinen Platz hat, weil dieser viel zu groß ist. Dichte, lange Wimpern und ebenso dichte Augenbrauen. Aber Paula kann keine Warzen und keine Spinnweben im Gesicht entdecken. Himbeerrosa Haut. Nie im Leben ist das eine Hexe, die sind nämlich grün im Gesicht.
© Maria Lodjn 2021-09-02