Peinlichkeit

Evelyn Weyhe

by Evelyn Weyhe

Story

Wenn mich jemand nach meinem peinlichsten Erlebnis fragen würde, fällt mir nur eine Geschichte ein. Und mir ist nicht schnell etwas peinlich, eigentlich gar nichts. Aber dieses Erlebnis dann doch.

Wir lebten in Uganda zu einer Zeit, als es nichts zu kaufen gab. Idi Amin hatte die gesamte Wirtschaft ruiniert. Auslöser für den wirtschaftlichen Niedergang war seine Entscheidung, 40.000 Asiaten, die schon seit Generationen in Afrika lebten und als Händler und Handwerker weitgehend die Wirtschaft dominierten, aus dem Land zu jagen.

In regelmäßigen Abständen fuhr ich mit dem Firmen-VW Bus über die Grenze nach Kenia, mit langen Einkaufslisten von ugandischen und deutschen Freunden. Die Reise war immer eine willkommene Abwechslung, um für kurze Zeit der Willkür dieser Schreckensherrschaft zu entkommen. Angst beherrschte unseren Alltag, ein Tanz auf dem Vulkan.

Kurz vor Weihnachten fuhr ich mit meiner Tochter mal wieder nach Nairobi. Eine Fahrt von 12 Stunden lag vor uns. Wir gönnten uns eine Übernachtung in Molo und aßen lang vermisste Köstlichkeiten. In Nairobi übernachteten wir im „680 Hotel“ auf der Kenyatta Avenue. Staunend schlenderten wir an den vollen Schaufenstern vorbei, konnten uns nicht sattsehen an den glitzernden Weihnachtsdekorationen. Am legendären „Thorntree Cafe“ im Stanley Hotel machten wir Rast. Dieser Platz ist Nairobis ältestes Hotel; 1902 eröffnet, beherbergte es hochkarätige Persönlichkeiten dieser Epoche. Wir suchten uns einen Tisch unter der berühmten Akazie, die die Leute früher als Poststelle benutzten, indem sie kurze Nachrichten an den Stamm pinnten.

Unter diesem Baum saßen wir und studierten die Speisekarte. Ich bekam Kinnwasser bei all den aufgelisteten Delikatessen. Sailfish auf Toast oder lieber Avocado mit frischen Krabben? Meine Tochter nahm mir die Entscheidung ab. Sie hatte das Kuchenbüffet entdeckt. Ich legte mein Portemonnaie auf den Tisch, bückte mich nach meiner heruntergefallenen Serviette, kam hoch – und mein Herz setzte aus. Der Geldbeutel war weg! Unser ganzes Geld für die Weihnachtseinkäufe, Kreditkarten, Führerschein. Da! Dieser Mann, der eben am Tisch vorbeigeschlendert war, der musste es mitgenommen haben. Ich sprang auf, lief ihm nach, stellte ihn und untersuchte seine sämtlichen Taschen. Mit erschrecktem Gesichtsausdruck ließ er alles über sich ergehen. Gäste scharten sich neugierig um uns. Schon nahte ein Polizist mit Schlagstock. Aus der Innentasche seiner Jacke zog ich mein, nein SEIN Portemonnaie ! Hilflos blickte ich mich um. Meine Tochter stand noch am Kuchenbuffet und hatte MEIN Portemonnaie in der Hand, um den Kuchen zu bezahlen! Möge sich der Erdboden auftun, dachte ich. Aber das tat er nicht.

Stotternd versuchte ich mich zu erklären und machte es mit jedem Wort nur noch schlimmer.

Was erzählte er wohl zu Hause an diesem Tag über die Attacke einer weißen Frau? Ein Lachkrampf schüttelte mich, ich verschluckte mich am Kuchen.

© Evelyn Weyhe 2021-02-20

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