Haben auch Sie die längste Zeit gedacht, der Beatles-Song Penny Lane wäre einer Frau gewidmet? Vorname: Penny, Nachname: Lane. Mir ging es jedenfalls so. Natürlich gibt es für derartige (kon)textliche Ignoranz keine Entschuldigung. Bestenfalls Ausreden: Es war digitale Steinzeit, lange vor Google Lyrics. Darüberhinaus waren Worte im Rausch des Ohrwurms ohnedies zweitrangig.
Nein, Penny Lane ist keine Frau. Es ist eine Straße in Liverpool, genauer: im Vorort Mossley Hill. Der Song erschien erstmals 1967. Copyright Lennon/McCartney, produziert in den Abbey Road Studios. Nur so zur zeitlichen Einordnung: Die erste bemannte Mondlandung gelang zwei Jahre danach (1969), das Frauen-Wahlrecht in der Schweiz wurde erst ganze vier Jahre später (1971) eingeführt, und Paul war noch lange kein Sir (1997). Als ich Penny Lane zum ersten Mal gehört habe, waren die Beatles längst Geschichte.
Penny Lane erschien als Single, gemeinsam mit Strawberry Fields Forever. Dass die kaum von Erdbeeren handeln, wurde mir auch erst später klar. Ach, diese grandiosen Psychedeliker. Penny Lane war europaweit ein Top Five Hit und an der Spitze der US Billboard Charts.
Penny Lane, das ist der Song, in dem ein Mac vorkommt, der nichts mit Computern, Steve Jobs oder dem sonnigen Kalifornien zu tun hat. Im Gegenteil, ist es die Kurzform für einen Mackintosh, den Klassiker aller Regenmäntel, 1823 vom Schotten Charles Mackintosh erfunden. In der Penny Lane ist der Mac jenes Kleidungsstück, das der Banker nie trägt – auch nicht beim stärksten Liverpooler Schüttregen. Very strange, dieser Banker.
Penny Lane, das sind die Erinnerungen des Paul McCartney an die Umgebung seiner Jugendtage. An Geschäfte, die ihm und John Lennon jahrzehntelang vertraut waren. An den Roundabout, an dem sich McCartney, Lennon und George Harrison bereits als SchĂĽler, später als Studenten, so oft getroffen haben. An den Barber Shop, der Porträtfotos seiner Kundschaft ausstellt. An Menschen, die „Hallo“ sagen. An den eigenartigen Banker, den die Kinder auslachen. An die hĂĽbsche Krankenschwester oder den Feuerwehrmann mit dem Foto der Queen in der Tasche. Das Psychedelische kommt auch nicht zu kurz, ist doch das Wetter einmal himmelblau, dann wieder stĂĽrmisch, und auch die Textstelle “and though she feels as if she’s in a play / She is anyway” dĂĽrfte wohl auf McCartneys bewusstseinserweiternde Experimente mit LSD zurĂĽckgehen.
Darüberhinaus könnte Penny Lane, mit etwas gutem Willen, ein Plädoyer sein: für freundliche Begegnungen, für den Erhalt von Grätzeln und vitalen Kleinstrukturen. Für das Einkaufen dort, wohin wir zu Fuß gehen, und wo man uns vielleicht beim Namen kennt. Zugegeben: eine romantische Fantasie wider das Geschäftssterben und den Ausverkauf von Vielfalt. Aber auch eine Chance, wachsender Vereinsamung und auch der Weltverschmutzung entgegenzuwirken, die vermeidbare Online-Käufe und Retouren täglich durch Transportwege und Verpackungsmüll verursachen. So hat Penny Lane – knapp 60 Jahre nach ihrem Entstehen – immer noch beachtliches Potenzial. Penny Lane, die nostalgische Grätzel-Hymne, könnte Lust auf mehr Miteinander machen. Aufs „Hallo“ sagen. Einfach so.
© Beate Schilcher 2022-01-20