by petitstory
Es war in der Zeit, als die Lage schon angespannt, aber noch nicht ganz entgleist war, als ich mit meinem Freund nach Sibirien gereist bin. Es war eine außergewöhnliche Gelegenheit mit der Uni eine solche Exkursion für verschiedene ökologische Studien zu machen. Ein einfacher Trip hin und zurück in zehn Tagen – das war zumindest der Plan gewesen…
Es war noch recht früh im Jahr und die Tundra hatte gerade erst begonnen aufzutauen. Mein Freund und ich hatten uns ein wenig vom Rest der Gruppe abgesetzt, um die Landschaft zu erkunden. So wanderten wir nur zu zweit ein wenig umher durch die kahle Sumpf- und Wiesenlandschaft und unterhielten uns. Da schlug uns jäh ein unerwarteter Gestank entgegen und wir hielten überrascht inne. Ein erster Instinkt zur Flucht wurde schnell von intellektueller Neugier abgelöst – immerhin waren wir Wissenschaftler auf einer Exkursion. So folgten wir den eklig süßlichen Geruch von Fäulnis und Verwesung, um seinen Ursprung zu finden.
Wir kamen schließlich zu einer Hügelkuppe und als wir darüber hinweg stiegen, eröffnete sich mit einem Schlag die ganze monströse Szenerie vor uns. Zunächst der Gestank, der nun so überwältigend war, dass es einem die Tränen in Augen trieb und dessen Ursprung uns jetzt deutlich wurde: Dutzende von verrottenden Kadavern lagen in einer sumpfigen Bodensenke vor uns in der prallen Frühjahrssonne. Ganz überwältigt stockte mir der Atem, als ich die zahllosen Tierkörper vor mir sah. Da waren Füchse und Wölfe, auch verschiedene Kleintiere, aber am meisten Rentiere, die alle mehr oder weniger zerfallen oder angefressen da lagen. Nur einen Kadaver konnte ich nicht identifizieren.
Am tiefsten Punkt der Senke lag nämliches etwas, dessen massiger Rumpf nur zur Hälfte aus dem Boden ragte, in merkwürdig verrenkten Gliedern als ein einziges Durcheinander von Haaren, Hufen und Hauern. Was es war, kann ich nicht sagen, da ich zuvor nie etwas Vergleichbares gesehen hatte; womöglich ein Tier aus der Urzeit, für Jahrtausende im Eis eingefroren, bis ein unerwartetes Hochwasser oder Erdrutsch es wieder freigelegt hatte.
Plötzlich kam ein Windzug auf, der eine besonders starke Böe des abscheulichen Gestanks zu uns trieb. Unwillkürliche wendete ich mich ab – mein Freund jedoch machte einen unglücklichen Schritt zur Seite, der angetaute Grund unter ihm gab nach und er stützte den Hang hinab in die Grube. Er schrie auf und ich stand erst nur im Schreck da, während er hilflos fest saß.
Rasch knotete ich meine verschiedenen Jacken zusammen und warf sie als behelfsmäßiges Seil hinunter. Mein Freund griff danach und mit aller Kraft zog ich ihn hoch, während er Sumpfwasser spuckte und versuchte, sich aus dem Morast zu befreien. Immer wieder rutsche er dabei am steilen Hang ab, doch letztendlich gelang es mir mit aller Kraft, ihn wieder über die Kante hinweg zuziehen.
So lagen wir beide schwer atmend in Schock und Erschöpfung da, nicht ahnend, dass der eigentliche Horror noch vor uns lag.
© petitstory 2023-04-03