Es gibt circa 1.600 buddhistische Tempel allein in Kyōto. Der berühmteste ist der sogenannte Kinkaku-ji, der Tempel des Goldenen Pavillons. Er ist eines jener Wahrzeichen Japans, die man wahrscheinlich schon einmal gesehen hat, selbst, wenn man noch nicht in Japan war. Er ziert Reiseführer und führt die Top-Listen der Attraktionen an. Ein „Must see“ wie das Tadsch Mahal in Indien und die Pyramiden in Ägypten – Menschenansammlungen und Drängeleien um die besten Fotospots inklusive. Wir hatten Glück, die Hauptsaison war vorbei und nur einige Schulklassen unterwegs, was ich immer besonders anregend fand – diszipliniert in einer Reihe und doch kichernd und hüpfend und fröhlich.
Vor dem Pavillon liegt ein großer Teich, der die Aufgabe hat, dieses Prunkgebäude zu spiegeln, aber auch die alten Bäume, die bemoosten Felssteine, die Brücken und Laternen und nicht zuletzt die staunenden Menschen. Was mich besonders angesprochen hat, ist der Phönix, der auf dem Dach schwebt, die Flügel gespreizt zum Abflug. Erstaunlicherweise blieb der Goldene Pavillon über mehrere Jahrhunderte erhalten, bis ein buddhistischer Mönch am 2. Juli 1950 die Schönheit des Pavillons angeblich nicht mehr ertragen konnte und ihn in Brand setzte. Er brannte zur Gänze ab, wurde aber wieder aufgebaut und noch prachtvoller vergoldet. So wie der Phönix sich aus der Asche erhebt, entstand der Goldene Pavillon aus der Asche und so wie Japan nach grausamen Zerstörungen – man denke an Hiroshima – wieder auferstanden ist. Der Phönix hat diesbezüglich auch für mich eine besondere Bedeutung – Auferstehen, wenn alles verloren scheint. Der Phönix aus der griechischen Sage‚ der Wiedergeborene, ist ein mythischer Vogel, der am Ende seines Lebenszyklus verbrennt oder stirbt, um aus dem verwesenden Leib oder aus seiner Asche wieder neu zu erstehen. ‘Rise like a phoenix‘ sang unsere Songcontest-Gewinnerin Conchita Wurst.
Ursprünglich war der Pavillon ein buddhistischer Reliquienschrein, so wie alle Pagoden in diesem besonderen Baustil der sich verjüngenden Ebenen mit den geschwungenen Dächern. Heute dienen sie keinem besonderen Zweck – außer der charakteristischen Schönheit, wie wir sie mit japanischen Heiligtümern verknüpfen.
Kyoto, die alte kaiserliche Hauptstadt, wurde durch einen besonderen Zufall vor der Zerstörung bewahrt. Im Zweiten Weltkrieg stand Kyoto ursprünglich ganz oben auf der Liste der Ziele für den ersten Einsatz der Atombombe. Insbesondere General Leslie R. Groves forderte den Abwurf auf Kyoto, da die Lage in einem Tal die Auswirkung der Explosion noch verstärkt hätte. Auf Drängen des US-Kriegsministers Henry L. Stimson, der die Stadt einst besucht hatte und um deren kulturelle Bedeutung wusste, wurde sie jedoch von der Liste gestrichen. Aus demselben Grund wurde Kyoto auch von schweren Luftangriffen verschont. (Wikipedia). Nagasaki musste dafür herhalten. Zynisch könnte man sagen: ‘Des einen Leid, des anderen Freud!’.
Nie wieder – nirgendwo!
© Christine Sollerer-Schnaiter 2024-01-29