Querfeldein 2

Gabriele_Krele-Art

by Gabriele_Krele-Art

Story

„The best things in life are free“ las ich einmal in einer Lifestyle-Zeitschrift. Spazieren gehen, walken und laufen, langlaufen oder Rad fahren sind ideale Freizeitbeschäftigungen, die Spaß machen und obendrein fast nichts kosten. Laufen war für mich viele Jahre lang eine zuverlässige Tankstelle gewesen, um neue Kräfte für meinen schulischen Alltag zu sammeln und den Körper fit für Herausforderungen zu machen. Diesen „Luxus“ kann man sich nirgends kaufen, nur ergehen, erlaufen oder erradeln. Und das ganz umsonst.

Ein paar Laufschritte von meinem Haus entfernt beginnt ein kleiner Mischwald aus Föhren, Eichen und anderem Laubgehölz. “A stonethrow away“, sozusagen. Ich beobachtete bei meinen Waldläufen unzählige Male Rudel von Rehen beim Äsen, folgte dem Zickzacklauf der Hasen, die sich trickreich aus meiner Spur zu retten versuchten. Eichhörnchen entschwanden scheu meinen Blicken und Vogelgezwitscher durchbrach meinen monotonen Atemrhythmus. Wenn ich mit meinem Mann lief, fragte ich ihn: „Hörst du den Kuckuck?“ Er nickte dann und erwiderte: „Siehst du den Buntspecht dort oben?“ Wir lachten beide, wenn ich zum wiederholten Mal über ein- und dieselbe Baumwurzel stolperte. Manchmal liefen wir stumm vor uns her, jeder für sich und doch gemeinsam. Die besten Ideen verdankte ich so manchem Lauf, weil er Problem wälzende Gedanken auf wunderbare Weise auflöste.
Im Frühling konnte ich oft nicht widerstehen und musste innehalten, um meiner Nase den Duft blühender Veilchen zu gönnen. Weiße und dunkelviolette Blüten säumten unseren Weg. Besonders berauschend war das Laufen zur Blütezeit im Mai. Flieder, Weißdorn, Wildkirsche und Ginster zauberten Farbe und Duft in den Wald. Einige Wochen später lockten dunkelrote Früchte ihre potenziellen Samenverbreiter an. Meine Schritte wichen der kleinen Bänderschnecke aus, die nach dem Regen neugierig ihre Fühler ausstreckte. Ich verglich die Spuren der im Schlamm suhlenden Wildschweine mit jenen des Vortages und hing gedanklich der Frage nach, wo sich die Tiere jetzt wohl versteckt hielten und wie es wäre, wenn plötzlich ein Keiler seinen Rüssel aus dem Gebüsch streckte. Allein schon der Gedanke an eine derartige Begegnung beschleunigte meine Schritte und meinen Herzschlag. Da ließen die kleinen, kreisförmigen Schlupflöcher der Wühlmäuse schon zierlichere Bewohner im Erdinneren vermuten. Wenn ein schrilles Krächzen aus dem raschelnden Gebüsch ertönte, dann war es wohl der Balzschrei eines Fasans. Auch Elstern und Eichelhäher schickten ihre heiseren Schreie durch die Stille des Waldes. Nach einem sommerlichen Platzregen verschlangen mich mystisch aufsteigende Wasserdampfwolken, und meine Füße versanken wie Samtpfoten im weichen Boden. In Zeiten trockener Sommerhitze knisterten die dürren Föhrennadeln unter meinen Füßen. Für die Zeit meines Waldlaufes war ich Teil des Waldes, atmete im Rhythmus der Natur.

Heute, 20 Jahre später, erlebe ich den Wald genauso intensiv wie damals mit dem Unterschied, dass ich achtsam entlang der Wege schlendere oder walke. Der Wald ist mir ans Herz gewachsen. Leider sind viele Bäume alt und krank geworden infolge der Trockenheit und des Borkenkäfers. So mancher Waldbewohner macht sich rar, und ich mache mir ein wenig Sorgen um dieses einstige, kleine Juwel.

© Gabriele_Krele-Art 2025-04-08

Genres
Novels & Stories
Moods
Inspirierend, Unbeschwert, Entspannend
Hashtags