rasenfreiheit

Flaco

by Flaco

Story

freiheit wächst nicht auf bäumen, sie fällt nicht vom himmel und gegeben wird sie nie freiwillig. sie entsteht aus widerstand gegen bestehende verhältnisse. wenn sie unter druck erlangt wird, muss sie genutzt werden, sonst versandet sie, wird schleichend zurückgenommen, verloren. freiheit besteht aus vielen kleinen freiheiten. für jede noch so kleine, hat jemand gekämpft, riskiert von den verhältnissen geschlagen, nicht selten erschlagen, zu werden. jemand hat einen zustand nicht akzeptiert, sich einer regel nicht untergeordnet, sie verletzt, sich aufgelehnt, aufbegehrt. freiheit begehrt und sei sie noch so klein.

die hofburg. ein gebäudekomplex der sieben jahrhunderte lang um die mittelalterliche burg gewachsen ist. zentum des reiches der habsburger, des gottesgnadentums, als dessen berufener vertreter sich seine apostolische majestät kaiser franz josef I. erklärte und fühlte, aber auch er war nur ein mensch. als solcher verfügte er über einen ausgedehnten privatgarten an der hinterseite der neobarocken “neuen burg”, die teil des, nie fertiggestellten, kaiserforums sein sollte, das die burg, die beiden museen und die hofstallungen verbunden hätte. franzls garten erreicht man von vorne, durch das mittelalterlichen tor, vorbei an der kapelle und der schatzkammer, links durch den arkadengang in den gotischen schweizerhof, dann durch die hofbibliothek auf eine weitläufige terasse, von der steinerne wendeltreppen in den garten mit alten bäumen führen. links das schmetterlings und das palmenhaus im jugendstil. rechts, ein eisernes prunktor auf die ringstraßenallee. leider hat der franzl, wenn er gerade nicht mensch in seinem garten war, als kaiser einen krieg angezettelt, der ihm mehr als seinen garten kostete. er sollte es nicht erleben. ruhe in frieden. danach wurde der garten den “bürgern” geöffnet (den proleten erst nach einem weiteren krieg), das betreten des rasens war jedoch bis 1980 verboten.

heute stehe ich, bei prächtigem wiener wetter, auf franzls terrasse. in den ausgedehnten wiesen spielen kinder, lungern studenten auf picknickdecken, umringt von wein und bierflaschen, touristen erholen sich von ihren rundgängen, in der sonne liegend, in verschiedensten sprachen angeregt schnatternd und ich bin höchst zufrieden mit mir, weil ich sagen kann, dass ich für diese kleine freiheit mit gummiknüppeln geschlagen wurde, als ich sie begehrt und mit meinen genossen das rasenbetretungsverbot missachtet habe. “rasenfreiheit für den burggarten!” war unser schlachtruf. die links linke fraktion traf sich im garten und ließ sich dort in der wiese nieder. dort konnte ich nicht nur bier trinken so viel ich wollte, sondern auch haschisch rauchen und kaufen. leider wurden wir regelmäßig von der polizei eingekesselt und verdroschen. wenn sie anrückten, haben wir uns zuerst aneinander geklammert und “ho-ho-ho-chi-minh” skandiert, dann markerschütternde schmerzensschreie ausgestoßen und um hilfe gerufen. das war unsere, so simple wie effektive, taktik. irgendwann haben sie uns trotzdem vertrieben (dann haben wir die stillgelegte fabrik in der gassergasse besetzt – andere geschichte). im nächsten sommer wurde das rasenbetretungsverbot aufgehoben. freiheit muss man sich nehmen, gibt sie nicht geschenkt!

© Flaco 2025-05-14

Genres
Novels & Stories