Rechts ist da, wo der Daumen links ist.

Helena_Ja

by Helena_Ja

Story
Deutschland

“Hebt bitte eure Hände in die Höhe.” Ohne überhaupt nachzudenken, hatte ich meine Hände über meinen Kopf gestreckt. “Und jetzt geht mit eurem rechten Bein nach vorne.” In meinem Kopf konnte ich förmlich hören, was dort vor sich ging: “Aaah. Wo ist denn rechts?!?”, erklangen meine panischen, inneren Stimmen.

Dann ging mein Blick automatisch zu meinen Händen und ich versuchte herauszufinden, welches davon die rechte Hand war. Natürlich sahen beide Hände für mich absolut identisch aus. Wie der Retter in der Not formten mein Daumen und mein Zeigeringer ein “L” und ich hatte die linke Hand ausfindig gemacht. Dann musste ich jetzt also, das andere Bein nach vorne stellen.

Dieses lief in meinem Kopf in Sekunden ab, sodass ich nur eine kurze Verzögerung zu den anderen Sportteilnehmern hatte. Ein unsicherer Blick ging nach vorne und alle hatten das gleiche Bein wie ich genommen. Ich atmete erleichtert aus.

Ein paar Sätze im Alltag mit meiner Rechts-Links-Schwäche hörte ich oft. Wenn ich mich nicht richtig konzentrierte, war es immer eine 50:50-Chance, ob ich das “richtige rechts” ausgewählt hatte. Bei dem Satz: “Das andere rechts”, wusste ich, dass ich mich falsch entschieden hatte. Am wenigsten brachte mir der Satz: “Rechts ist da, wo der Daumen links ist”. Ich würde niemals herausfinden, ob es als Scherz gemeint war oder ob die Leute wirklich dachten, es würde mir weiterhelfen. Immerhin wusste ich auch so nicht, wo links oder rechts war. Ein weit verbreiteter Tipp für mich als Rechtshänderin war: “Rechts ist die Hand, mit der du schreibst.” Selbst, wenn ich schon seit Jahren schrieb, musste ich erst verschiedene Schreibbewegungen in der Luft machen, um die richtige Hand ausfindig zu machen. Das einzige, was mir wirklich geholfen hat, war der Tipp meiner besten Freundin: “Links ist die Hand, mit der du mit Zeigefinger und Daumen ein L formen kannst.” Wenn ich dir also ein “L” ins Gesicht hielt, dann nur, um die richtige Richtung herauszufinden und nicht dich als Loser oder ähnliches zu beschimpfen. Nur bei längeren Ausfahrten schrieb ich mir “L” und “R” auf meine Hände. Wenn ich schnell reagieren musste, wollte ich mich nicht auf meine Reflexe verlassen.

Auch wenn es für mich normal war, hatte ich mich früher oft für meine Rechts-Links-Schwäche geschämt. Immerhin unterschieden schon kleine Kinder zwischen Links und Rechts. Sie konnten es ganz automatisch, ohne nachzudenken, Tipps zu nutzen oder sich passende Buchstaben auf die Hand zu zeichnen. Dann las ich, dass es 20-30 % an einer Rechts-Links-Schwäche litten. Nicht alleine zu sein, half mir viel weiter und ich hatte kein Problem mehr damit, “L” zu formen oder Buchstaben auf meine Hand zu zeichnen. Mir war es auch nicht peinlich, wenn ich mich vertan habe oder etwas länger als andere brauchte und auch die Kommentare, störten mich nicht mehr.

© Helena_Ja 2023-08-29

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