Hast du schon einmal etwas gesagt, das du am Ende bereut hast? Dachtest du dir schonmal, du hättest in diesem Moment lieber geschwiegen?
Falls nicht, so ist dies eine kurze Abhandlung darüber, wie wertvoll Schweigen sein kann. An einem ganz gewöhnlichen Samstag ist das dünne Band einer Familie gerissen, weil ein Unbeteiligter seine Meinung kundtun musste. Oft begreifen wir die Macht der Worte, die über unsere Lippen gehen, viel zu spät. Einmal ausgesprochen sind sie unumkehrbar. Ganz egal wie sehr man sie auch bereuen mag, man kann es nicht ungeschehen machen. Aber der Reihe nach.
Diese Geschichte handelt von zwei Schwestern, die das Leben und unterschiedliche Ansichten auseinander getrieben hatten. Für die Eine war das ein langer und schmerzhafter Prozess gewesen, während die Andere die Auswirkungen erst jetzt allmählich spürte. Die Eine der beiden Schwestern, welche die Ältere war, hatte vor langer Zeit ihre Prioritäten neu sortiert. Sie fand ihre Zuflucht in dem Glauben und schätzte die anderen Glaubensmitglieder von Tag zu Tag mehr. Bis zu dem Punkt, an dem diese Menschen ihre Nummer eins wurden. Die andere Schwester fühlte sich im Stich gelassen. Sie hatte sich bisher sehr auf ihre ältere Schwester stützen können. Doch von einem Augenblick war sie nicht mehr da gewesen. Sie glänzte durch ihre Abwesenheit. Die Jüngere vermisste ihre Schwester, mit der sie eine Zeit lang unzertrennlich gewesen war. Sie arrangierte sich neu, fand neue Wege und Möglichkeiten und zu dem jetzigen Zeitpunkt war sie erwachsen geworden. Sie hatte in sich selbst die Stütze gefunden, die sie einst verloren hatte. Doch die ältere Schwester spürte den Verlust ihrer Schwester nun ebenfalls. Sie versuchte ihre Abwesenheit rückgängig zu machen. Tat, als wäre nie etwas zwischen ihnen vorgefallen. Die Schwestern hatten sich darauf geeinigt, sich zusammen zusetzten und einmal darüber zu sprechen. Doch die jüngere Schwester forderte einen Beweis der Wertschätzung, die ihr die letzten Jahre verwehrt geblieben war. Doch das war ein Opfer, das die Ältere nicht bringen wollte.
In diesem Moment mischte sich ein Unbeteiligter ein. Der Mann der älteren Schwester. Er akzeptierte die Forderung der Jüngeren gar nicht und sah auch keinerlei Schuld bei seiner Frau oder sich. Und in eben jenem Moment wertete er das Silber höher als das Gold. Er mischte sich in einen Streit ein, der ihn nicht betraf. Er rief den Vater der beiden Schwestern an und beklagte sich über die Jüngere. Er nannte sie eine Lügnerin. Schlecht erzogen. Respektlos. All diese Worte verließen seine Lippen und werden für alle Ewigkeit gesprochen bleiben. Er beleidigte den Vater selbst und stürzte damit so viele unbeteiligte Menschen in einen Streit zwischen zwei Schwestern. Er begann durch simpel erscheinende Worte einen Krieg, wie es schon viele vor ihm getan hatten. Er begann einen Krieg, den er nicht gewinnen konnte. Einen Krieg, den niemand gewinnen konnte. Denn seine Worte zerrissen ein Band einer einst glücklichen Familie. Er zerstörte die Aussprache der beiden Schwestern. Während die eine damit leben konnte, würde die Ältere noch eine Weile darunter leiden müssen. Hätte er nur lieber geschwiegen.
© Julia Rößling 2023-05-13