Resonanzkatastrophe

Dunkelgold

by Dunkelgold

Story
Braunschweig, Berlin 2025

Liebster, wir wissen es längst: Rein technisch gesehen steuern wir auf eine Resonanzkatastrophe zu.
Rein technisch gesehen ist die Zugfestigkeit zu gering.
Ich weiß das. Mein Tabellenbuch hat es längst beschrieben.
Auch duktiler Stahl kann brechen. Noch vierzig Stunden. Bis zum Totpunkt.
Bis zu diesem einen Moment, in dem ich den ersten Schritt mache, in den Bus steige – und zurück in meine Stadt fahre. Es kann alles passieren in der Zeit davor. Und alles danach.
Der Moment zwischen zwei AtemzĂĽgen, zwischen zwei Gedanken. Es wird nicht halten. Es wird nichts entstehen.
Tief in mir weiĂź ich das. Und hoffe trotzdem.
Wir wissen beide, was Hoffnung ist, oder? Dass das Tretlager nicht bricht,
wenn ich zum Bahnhof radle – trotz der unheilvollen Geräusche, die es macht.
Dass der Himmel nicht aufreißt, wenn wir uns endlich wieder gegenüberstehen. Dein Herz ist spröde geworden mit der Zeit. Meines ist rissig. Materialermüdung kommt nicht von ungefähr. Ich habe die Schwingung letztens am Telefon gespürt. Sie ging durch und durch. Positive Schwingung, die meiner Frequenz nichts anhaben konnte. Negative Stimmung, die versucht hat, etwas in mir zu zerstören. Du sagtest, es sei unbewusst gewesen. Oder ein Scherz. Ich sagte, es sei manipulativ. Wir haben gelacht. Beide. Aber ich spüre die Resonanzkatastrophe. Wie das Auge im Sturm. Ich gehe wissend hinein. Weil ich weiß, dass ich in der Lage sein werde, mein System wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Bis die Summe aller Momente gleich null ist. Rein technisch gesehen bist du die Dunkelheit. Und die Kälte. Rein technisch gesehen fließen meine Wärme und mein Licht in dich hinein, bis für mich alles nur noch halbwarm und halbhell ist. Ich weiß, dass ich das nicht will. Aber ich kann mich nicht dagegen wehren. Mich nicht verschließen. Du bist kein Zuhause, cuore mio. Du bist ein Ort zum Schreiben. Zum Fühlen.
Ich vertraue dir meine Gedanken an und jedes meiner GefĂĽhle.
Du bist ein Resonanzraum. Ein Spiegel. Keine Wand.
Aber meine Lebensrealität halte ich fern von dir. Ich schütze sie – vor dem Einsturz, den du mit dir bringst. Ich habe es gemerkt, als du sagtest: „Ja, wie du lebst, hast du dir ausgesucht.“
Und mich damit verunsichert hast. In meinen Grundfesten.
Ich antwortete: „Und wenn ich mich entscheiden könnte
zwischen einem aufregenden Leben und meiner Realität –
ich würde immer dieses wählen: Stabilität. Meine Zugfestigkeit wird eingehalten.“
Wir haben uns ein Versprechen gegeben. Jede:r sagt, wenn etwas nicht stimmt.
Ich werde es tun. Wenn ich mich unbehaglich fĂĽhle. Wenn ich fliehen will, weil Flucht meine Rettung ist.
Weil ich dir entrinnen muss – diesen Gefühlen von Sehnsucht und Intensität, die du in mir auslöst, und die am Ende zur Katastrophe führen werden. Dann werde ich leise flüstern: „Rein technisch gesehen, mein Herz,
steuern wir auf eine Resonanzkatastrophe zu.“

© Dunkelgold 2025-06-16

Genres
Spirituality
Moods
Dunkel, Emotional, Traurig
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