Rotenturm

Sigrid Farber

by Sigrid Farber

Story

Der Einladung einer Freundin folgend, fuhr ich mit meinem Mann zum Schloss Rotenturm im Burgenland, wo uns eine Führung erwartete. Ich war aufgeregt, denn ich kannte das Schloss bzw. die Parkanlage bereits. Am 11. August 1999 war ich nämlich auf der Suche nach einem idyllischen Platz zum Beobachten der Sonnenfinsternis mit meinem damaligen Freund zufällig dorthin gekommen.

Wir waren damals einfach der Sonne nachgefahren, die drohte, sich hinter dichter werdenden Wolken zu verstecken, was nicht so günstig gewesen wäre. Plötzlich standen wir vor einem Park mit einem halbverfallenen, sehr romantisch wirkenden Schloss, der uns geradezu einlud, durch ein offenes Tor seine Zauberwelt zu betreten. Rasch fand sich in dem weitläufigen Areal, in dem außer uns niemand zu sein schien, eine Rasenfläche, auf der wir unsere Decke ausbreiteten, unsere Finsternis-Brillen aufsetzten und in den Himmel starrten.

Fast schlagartig wurde es still, das Geschnatter, Muhen und Mähen der Tiere, alle Geräusche, die zuvor aus der Ferne zu hören gewesen waren, verstummten, die Dämmerung senkte sich über uns, verursacht durch den Mond, der sich langsam vor die Sonne schob und diese verdunkelte. Gebannt verfolgten wir dieses Schauspiel in einem unwirklich anmutenden Ambiente, wurden Zeugen, wie am helllichten Tag die Nacht hereinzubrechen schien. Nur wir beide in diesem Park, in der Nähe eines Schlosses, das einen morbiden Charme verströmte, der sehr gut zur Stimmung passte. Eine gute Stunde dauerte das Spektakel, dann wurde es wieder hell, die Tiere erwachten und gaben ihre üblichen Laute von sich, und wir erhoben uns und gingen näher zum Schloss hin, doch es war verschlossen und wirkte außerdem baufällig, sodass wir von einer Besichtigung absahen.

Und jetzt, im August 2020, 21 Jahre später, war ich wieder da. Das Schloss war inzwischen wunderschön restauriert worden, die Tochter der Eigentümer führte uns herum, zeigte uns die prächtigen Räumlichkeiten, die liebevoll renoviert und mit ausgesuchtem Inventar eingerichtet waren, und erzählte uns allerlei Wissenswertes über die Geschichte des Schlosses seit seiner Errichtung im 19. Jahrhundert durch die ungarische Adelsfamilie Erdödy. Nach dem Tod des letzten Besitzers fiel es in einen Dornröschenschlaf, aus dem es erst 2008 wachgeküsst wurde.

Schloss Rotenturm dient nicht nur als Wohnsitz, sondern kann auch für diverse Veranstaltungen und Konzerte genutzt werden. Es gibt eine große Halle und sogar eine Hochzeitssuite. Auch den Turm durften wir besteigen, von oben hatten wir eine großartige Aussicht auf den Park und den Ort Rotenturm sowie die umliegenden Hügelketten. Ich war sehr beeindruckt. Und zum Abschluss bekamen wir noch ein Glas Sekt auf der Terrasse serviert. Wir stiegen die Treppe hinab in den Park, und die Erinnerung an die Sonnenfinsternis lebte wieder auf. Ich schmiegte mich an meinen Mann und war dankbar, mit ihm hier zu sein, statt mit dem damaligen Freund.

© Sigrid Farber 2020-08-26

Hashtags