Schattenkrieger

Jamal Tuschick

by Jamal Tuschick

Story

In den 1940er Jahren lebten in Aleppo zehntausend Juden in einer zweitausend Jahre alten, folglich lange vor der arabischen Invasion gegrĂŒndeten Gemeinde. In Bagdad war ein Drittel der Bevölkerung jĂŒdisch. 

Sie sahen aus wie Araber und sie sprachen arabisch nicht anders als die Mehrheitsgesellschafter in ihren Geburtsorten. Als sich Mizrachim in den 1940er Jahren – im Zuge der israelischen StaatsgrĂŒndung – fĂŒr Spionageaufgaben rekrutieren ließen, fehlte ihnen zu einer perfekten Tarnung allein das, was in familiĂ€r-muslimischer BeilĂ€ufigkeit transferiert wird: religiöse Trivia vom Aberglauben ĂŒber Verballhornungen normierender Wendungen bis zu mehrdeutigen Redewendungen mit dem Charakter verborgener Nachrichten.

Man betrachtet ein Bild. Zuerst sieht man einen Eselskopf, und auf den zweiten Blick einen Geschlechtsakt, der in der Wahrnehmung zur Ansicht eines Geistlichen mutiert. Solche Vexierspiele nicht nur der Sprache, sondern auch der Mimik und Gestik bargen fĂŒr die Fighter des Arab Platoon die grĂ¶ĂŸten Gefahren.  

Die Agenten mussten das gemurmelte SelbstgesprĂ€ch der infiltrierten Gesellschaft verstehen, die Unter- und Zwischentöne in einer mörderisch aufgeladenen Situation. Nur der Firnis ihrer Legende trennte sie von tödlichem Hass. Hinzu kamen lauter Erstmaligkeitserlebnisse. Der frisch gegrĂŒndete Staat formierte sich im arabischen Untergrund auf der Holperstrecke von Haben-wir-noch-nicht, Kennen-wir-noch-nicht und MĂŒssen-wir-erst-einmal-ausprobieren.

Im PrÀsens der Pioniere 

Ein Schattenkrieger der ersten Stunde ist Isaac Shoshan. Der Hausmeistersohn aus Aleppo erhĂ€lt den Decknamen Abdul Karim. Er verrichtet Feldarbeit im Kibbuz Na‘an. 1948 wird das Na‘an zum Hauptquartier der Israelischen VerteidigungsstreitkrĂ€fte.

Nach Feierabend nimmt Issak am Wehrunterricht teil. Ein Palmach-Ausbilder lehrt den Umgang mit Bren-Maschinengewehren, Handgranaten, Sprengstoff und Funktechnik. Den Islamunterricht leitet der Iraker Shimon Somekh aka Sam’an.

Issak lernt Feinheiten der Korankultur im SĂ€ulengang des Islam. Doch dass, was ihn im besonderen Maß auszeichnet und seine Rolle im Kampf einzigartig macht, beherrscht er lĂ€ngst.

Ich rede von der Kunst des mista‘arev. Sofort versteht man die Krux. Issak bleibt Außenseiter. Physiognomisch erscheint er als Araber. Kulturell steht auf einer Kreuzung zwischen einer inferior-jĂŒdischen und der dominant-arabischen PrĂ€gung. WĂ€hrend er von einem jĂŒdischen Neustart unter zionistischen Vorzeichen trĂ€umt, verlangt man von ihm, sich seinen Schreckgespenstern von gestern anzuverwandeln. Eine Improvisation nach einer Melodie von Matti Friedman, „Spione ohne Land. Geheime Existenzen bei der GrĂŒndung Israels“, auf Deutsch von Tim Schneider, Hentrich & Hentrich, 24.90 Euro ï»żï»ż

© Jamal Tuschick 2024-06-29

Genres
Novels & Stories
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Adventurous
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