Scherzkeks

Stefanie Höring

by Stefanie Höring

Story

In der Volksschule entdecke ich Scherzartikel für mich. Mein neuer Lieblingsladen ist Witte am Naschmarkt. Die haben Faschingskostüme. Überdimensionale Blumen reihen sich an Zylinder, aus denen mal Kaninchen krabbeln sollen. Vollgestopft ist der Laden und ich fühle mich sofort wohl. Was mir aber am meisten ins Auge fällt, sind die Scherzartikel.

Wir kommen so oft her, dass ich einen kleinen Fundus ansammle: Einen Scheißhaufen aus Plastik, den Mama noch anmalt, damit er echter aussieht. Einen Tellerwackler, Würfelzucker, der eigentlich aus Salz ist, eine riesige wabbelnde Plastikspinne, Kunstblut, ein rotes Furzkissen und eine falsche Zigarette, die so aussieht, als würde sie glühen.

Jux aus Tradition, das ist das Motto von Witte und ich bin sicher: einen Jux will ich mir machen! Ab sofort stolpert meine Lehrerin gelegentlich über den frisch gestrichenen Scheißhaufen oder sie setzt sich auf das Furzkissen, das ich sorgfältig unter ihrem Kissen verstaue.

Wir sind wenig später bei meiner Oma in München eingeladen. Es ist die Oma, die Mama nicht leiden kann. Wahrscheinlich weil sie eine Schwiegermutter ist. Was das bedeutet, weiß ich damals zwar nicht, aber es klingt nicht sonderlich sympathisch. Ich habe mein Assortiment an Scherzartikeln in meiner kleinen Reisetasche. Meine Mama feuert mich an.

„Mach das! Das wird bestimmt lustig!“, sagt sie wie ein Cheerleader.

Der Tellerwackler funktioniert mit einer kleinen Pumpe. Die Schwiegeroma löffelt ihre Suppe und bemerkt nichts. Mama schaut mich herausfordernd an, es ist unheimlich auffällig. Ich drücke fester. Öfter. Meine Schwiegeroma lässt den Löffel fallen, so sehr erschrickt sie. Ich sehe gerade auf meinen Teller und lasse mir nichts anmerken. Meine Mutter schaut zu mir herüber, ich spüre ihren Blick auf meinen roten Wangen, die langsam zu glühen beginnen. Ich esse weiter, lasse etwas Zeit verstreichen, die sich anfühlt, als würde jemand auf Pause drücken. Dann drücke ich wieder und meine Oma stößt einen Schrei aus.„Da ist doch nichts, was hast du denn?“, sagt meine Mutter.

Heute sehe ich keine Scherzartikel mehr in den Klassen. Seit ich diesen Job mache, habe ich keinen einzigen zu Gesicht bekommen. Statt dessen verpassen sich die Kids gegenseitig Nackenklatscher und Arschbohrer. Und im Distance Learning stellen sie einander, und die ganz Mutigen auch die Lehrer*innen, stumm. Eine Fähigkeit, die ich im echten Leben auch gerne hätte.

Was ich mich sehr oft frage: wie wäre Distance Learning in den Achtzigerjahren von statten gegangen? Hätte unsere Klassenlehrerin meine Eltern angerufen? Wäre sie durch den gesamten 13. Bezirk gelatscht, um Aufgaben in Briefkästen zu versenken?

© Stefanie Höring 2022-08-10

Hashtags