Max wollte mich nach der Wende mal wegen einer unbedachten Äußerung rausschmeißen, tat es jedoch aufgrund unserer langjährigen Freundschaft nicht. Er wusste, ich hätte nie arbeiten müssen. Meinen Beruf mag ich zu sehr. Max sagte damals oft: “Vergiss es!” Früher auch: “Erlaube mal.”
Die lieben Eltern starben mit 77 bzw. 72 im Jahre 1992. Doris hat mir mein Erbe bereits vorab ausgezahlt, falls es mal Streit geben sollte, natürlich nicht zwischen uns Geschwistern. Ich kann von den Zinsen leben.
Die Beziehung mit Constanze Kadern scheiterte ebenfalls, nachdem wir 10 Jahre verlobt gewesen waren. In einer Studentenbar hatten wir uns kennengelernt. Conny war erst 17 und hatte gerade mit der Fachschulausbildung zur Krankenschwester begonnen. Ich war im letzten Studienjahr Erziehungswissenschaften. Wir waren zu jung. Obwohl ich gut situiert bin, hatte ich immer Bedenken, dass Conny womöglich zu früh schwanger wird. Sie sollte doch zumindest unbelastet ihre Berufsausbildung abschließen können.
Wir wollten 1985 eine Reise nach Bulgarien antreten. Das funktionierte nicht, weil Constanze erst ganz neu in einer Klinik angefangen hatte. Weil solche Reisen in der DDR Gold wert waren und ich sie partout nicht zurückgeben wollte, habe ich Max überredet, mit mir nach Bulgarien zu fliegen. Cornelius hat für uns in der Zeit Dienst geschoben. Später hatten Conny und ich mit dem Schichtdienst zu kämpfen. Ab und zu sind wir nach Vorplanung mal paar Tage verreist. Hotelzimmer waren in der DDR insbesondere in der Saison auch schwer zu beschaffen. Constanze wohnte noch im Haus ihrer Eltern. Dann starb recht früh ihr Vater.
1992 kamen auch die Brüder Frank und Steffen zu uns. Deren Eltern, ein Bauingenieurgeschäft aufbauend, waren bei einem Unfall tödlich verunglückt. Frank, Jahrgang 1985, war an dem Tag von der Schule nach Hause gekommen. Er hatte zum Ende seines ersten Schuljahres schon einen Hausschlüssel. Die Eltern kamen nicht heim, Steffen kam ewig nicht aus dem Kindergarten. Nach 17 Uhr erschien die Kindergärtnerin, Steffen (5) an der Hand haltend. Von der anderen Seite kam jemand von der Polizei und teilte mit, dass die Eltern tot seien. Das Jugendamt war verständigt worden. Noch am selben Tag wurden die Geschwister zu uns gebracht. Wir gingen am nächsten Tag in die Wohnung, um Kleidung und die persönlichen Sachen der Jungen zu holen. Mit Frank ging ich kurz danach auch zur Beerdigung. Bald waren erst mal Ferien, Zeit zur Aufarbeitung. Da half mir zum ersten Mal richtig mein Studium der Kinderpsychologie. Als die Schule wieder losging, war ich mit Steffen öfters im benachbarten Heim für Klein- und Vorschulkinder, damit er unter Gleichaltrigen ist und bisschen spielen kann. So ging das noch ein ganzes Jahr bis zu seiner Einschulung, die wir auch ausstatten durften. Wir wollten die Kinder nicht trennen. Das wäre eine zu große Härte für sie gewesen, die von einem Tag zum anderen ganz allein auf der Welt waren. Die Adoption von Frank hat leider nicht geklappt. Ich hätte auch Steffen aufnehmen müssen. Der wollte das nicht. Er kann uns nicht leiden.
© Annemarie Baumgarten 2024-11-22