“Huhh… meine Mutter kommt!”, presse ich heraus, bevor mich ein heftiger Hustenanfall schüttelt. “Sehr gut!”, lobt Sina, “gleich nochmal!” Der Husten brennt in meiner Kehle. Eigentlich ist mir schlecht, doch mein Stolz lässt es nicht zu, jetzt aufzugeben. Mein Magen dreht sich, aber ich zwinge mich, das Gefühl zu ignorieren. Ich kann jetzt nicht vor Sina versagen. Vor ihr, die so lässig wirkt, als hätte sie nie etwas anderes getan. Es soll doch so einfach sein, oder? Einfach ziehen, einatmen, ausatmen. Wir stehen schon bestimmt seit einer halben Stunde in diesem Hinterhof. Zwei etwas pummelige Mädchen in Schlaghosen mit einer Schachtel Marlboro. Sina ist cool, und ich fühle mich geschmeichelt. Gesehen. Ernst genommen. Die Zigarette fühlt sich falsch an zwischen meinen Fingern. Trotzdem halte ich sie fest. Ich will Sinas Respekt. “Du musst ziehen … soo … und dann schnell einatmen, so als würdest du dich erschrecken. Huhh! Meine Mutter kommt!”, macht sie vor. Sie grinst selbstbewusst und pustet den Rauch aus ihren Nasenlöchern in mein Gesicht. Der Rauch brennt leicht in meiner Nase. Sie sieht dabei so verwegen aus. Ich denke nur: Das muss ich auch hinbekommen. Das Resultat? Meine Augen tränen und ich huste so stark, dass ich mich fast übergeben muss. Es fühlt sich an, als würde mein Körper sich mit jeder Faser dagegen wehren. Ich ziehe nochmal. Vorsichtiger. Langsamer. Der Rauch kratzt etwas weniger, aber es bleibt schlimm. Mein Kopf wird leicht. Mir ist schwindlig. Ich wanke leicht und stütze mich an der Backsteinmauer ab. Dann schlucke ich schwer und sehe Sina an, die zufrieden grinst. “Der Muttertrick hat noch jedem geholfen.” Plötzlich ist es da, das Bild in meinem Kopf. Meine Mutter, wie sie um die Ecke biegt. Ihr Gesicht angespannt, ihre Augen voller Enttäuschung. Der Gedanke trifft mich wie ein Schlag in den Magen, und prompt huste ich wieder. Meine Mama würde mich umbringen. Sie hasst Rauchen. Sie hasst alles daran. Und ich? Warum stehe ich hier und quäle mich mit etwas, das ich immer ekelhaft fand? Der Gedanke an meine Großeltern drängt sich in meinen Kopf. Jedes Mal, wenn wir sie besuchten, lag dieser dichte, schwere Geruch in der Luft. Er umhüllte alles – ihre Möbel, ihre Kleidung. Wenn wir Zuhause unsere Koffer auspackten, schienen wir jedes Mal eine gehörige Menge mitgeschmuggelt zu haben. Der Gestank hielt sich hartnäckig. Selbst Tage später tauchte er manchmal wieder auf. Als würde er an mir haften. Einmal, während einer Autofahrt, hatte meine Omi die Krise bekommen, weil sie in unserer “Spießerkarre” nicht rauchen durfte. Sie zitterte. Tobte. Wie ein Kind, dem man das Spielzeug weggenommen hat. Es war peinlich. Ihre Wut. Ihre Panik. Wie abhängig sie war. Wie erbärmlich es aussah. Und doch… hier stehe ich. Mit einer Marlboro in der Hand. Genau die Marke, die sie raucht. Die einzige, die ich kenne.
“Rauchst du Filter, siehst du Bilder…”, höre ich Sina plötzlich sagen. “Was?”, schrecke ich hoch. “Dein Tabak ist abgebrannt. Wenn du jetzt ziehst, rauchst du den Filter. Nicht so gesund…”, belehrt sie mich. Wie ironisch. Als ob das hier gesund wäre. Aber ich sage nichts. Stattdessen nicke ich nur, als ob ich das alles schon längst wüsste. Sina genießt die Rolle, die sie da spielt. Die Lehrerin. Die erfahrene Raucherin. Es gefällt ihr, das sehe ich. Ich frage mich, ob sie es schon mehreren beigebracht hat. Und warum sie das überhaupt tut. Vielleicht ist das ihre Art, sich wichtig zu fühlen.
© Katrin Nielsen 2024-10-23