Schluss mit Schreiben, der Gewinner steht fest

Timo Fritsch

by Timo Fritsch

Story

Er ließ den metaphorischen Stift fallen und atmete pfeifend aus. Es war der einunddreißigste August, der letzte Tag des Wettbewerbs und er hatte sein Buch fertig. Ab morgen mĂŒsste er endlich nicht mehr schreiben, könnte seinen Hobbies nachgehen, Sport machen, das Haus wieder verlassen.

Jetzt musste er nur noch das Buch zusammenklicken. Die Bilder hatte er bereits ausgewĂ€hlt. Einen Abend hatte er damit verbracht bei unsplash.com passende Begriffe zu suchen und dann die erstbesten Ergebnisse herunterzuladen. FĂŒr ihn brĂ€uchte es keine Fotos, schließlich sprachen seine Geschichten fĂŒr sich und waren ĂŒber jeden Zweifel erhaben. Doch scheinbar war es von den Machern der Plattform gewollt.

Mit einem Auge hatte er die Welt außerhalb seines Arbeitszimmerfensters im Blick. Die Sonne schien und Fahrradfahrer zogen an ihm vorbei in ihren Feierabend. Wenn er schnell fertig wĂŒrde, könnte er sich auch noch in den Sattel schwingen.

Buchbeschreibung. Dazu hatte er sich bisher keine Gedanken gemacht. Sein Buch war komplex, schließlich hatte er all sein Empfinden und Können in die vielen Zeilen fließen lassen. Es war sein Lebenswerk, sein bisheriges Opus Magnum, die Ausgeburt eines ambigen, gebildeten und kultivierten Geistes und wert, stundenlang von Kritikern und Fans analysiert und diskutiert zu werden. Wie könnte er das zusammenfassen?

Die Zeichenanzahl war begrenzt. Nur wenige SĂ€tze hatte er, um die Essenz seines Buchs auf den Punkt zu bringen. Er schnaubte genervt.

Vor Monaten hatte er durch eine Instagram-Werbung von dem „Young Storyteller Award 2022“ erfahren. Er sei, so hieß es, der grĂ¶ĂŸte literarische Nachwuchswettbewerb im deutschsprachigen Raum. Kurioserweise galt er mit seinen 34 Jahren noch als jung.

Mit dem Blick fest auf Ruhm und Ehre und der einmaligen Chance, der Literaturwelt und der Jury zu beweisen, welch großes Schriftstellergenie in ihm steckte und bisher nur ihm bewusst gewesen war, war es fĂŒr ihn keine Entscheidung gewesen, teilzunehmen. Nein, er mĂŒsste es, wĂ€re es doch sonst ein großer Verlust fĂŒr den Award und die Zukunft der Literatur. Und so schrieb er die geforderten 12 Geschichten.

Die Buchbeschreibung war fertig. Seine private Adresse hatte er eingetippt und wunderte sich, dass er keine Bankdaten angeben konnte. Wie wĂŒrde ihn seine Provision erreichen, wenn er den Wettbewerb in wenigen Wochen gewinnen und das Buch zum Bestseller werden wĂŒrde?

Er grunzte mit Genugtuung, als der Vorgang abgeschlossen war. Sein Buch war eingereicht und schon ereilte ihn die E-Mail, dass er am YSA22 teilnehmen wĂŒrde. Mit einem selbstsicheren LĂ€cheln schob er sein Rennrad an die frische Luft, warf sich in den Sattel und rollte die Anwohnerstraße herab.

Endlich mĂŒsste er nicht mehr schreiben. Bis zu dem Zeitpunkt natĂŒrlich, wenn er den Vertrag mit dem Literaturagenten unterschrieben hĂ€tte. Aber bis zu seiner GewinnerkĂŒr in Wien hatte er noch Zeit. Und die wĂŒrde er sicher nicht mit Schreiben verbringen.

© Timo Fritsch 2022-09-03

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