Schnee

Hanna Oppelmayer

by Hanna Oppelmayer

Story

Theo betrachtete jede einzelne Fotografie noch einmal mit konzentriertem Blick und überlegte, welche er auswählen sollte. Eines der Fotos fand er besonders interessant. Es war fast komplett weiß. In der Mitte des Bildes standen ein Mann, eine Frau und ein kleiner Junge, der frech in die Kamera grinste. Alle drei hatten dicke Kleidung an, die Theo noch nie zuvor in seinem Leben gesehen hatte. Auch die Gesichter der Personen waren fast vollkommen verhüllt. Sie trugen schwer aussehende Helme und übergroße Brillen. Was Theo an dem Bild aber am meisten verblüffte, waren die Bretter, die alle drei Personen an die Füße geschnallt hatten.

Fragend schaute Theo seinen Großvater an. Dieser lächelte traurig. „Das waren schöne Zeiten damals.“ „Wer sind die Leute auf dem Foto und was machen sie da?“ Theo konnte seine Neugier nicht verbergen. Sein Großvater schmunzelte ein wenig. „Wirklich? Du erkennst die Personen nicht? Das hier bin ich“, er deutete auf den Mann. „Und das hier neben mir ist deine Großmutter. Und der kleine Junge hier ist dein Vater.“ „Mein Vater?“, Theo betrachtete das Bild genauer. Sein Großvater erzählte weiter. „Jedes Jahr im Winter waren wir Ski fahren. Es war einfach herrlich. Nichts als Kälte, Wind und Schnee.“

Theo sah seinen Großvater verständnislos an. Ihm sagten diese Begriffe alle nichts. In der Gumbad gab es keine Jahreszeiten und keine Wetterphänomene. Die Temperatur wurde von den Menschen generiert und es war das ganze Jahr über warm. Weder heiß noch kalt. Kein Schnee, kein Regen, nicht einmal Wind.

„Ski fahren, was ist das? Und was meinst du mit Schnee?“, wollte Theo wissen. „Wirklich eine Schande, was aus unserer Welt geworden ist!“, murmelte der Alte. Als er Theos verwirrten Blick sah, wurde seine Stimme wieder sanft und er erklärte seinem Enkel: „Schnee ist das Weiße, dass du auf dem Bild erkennen kannst. Wenn es besonders kalt war, fiel früher Schnee vom Himmel.“ Theos Augen weiteten sich, als er zuhörte. „Und wenn es viel Schnee gab, waren wir Ski fahren. Deine Großmutter, dein Vater und ich. Beim Ski fahren zieht man sich warm an, schnallt sich Bretter an die Füße und rutscht einen Hügel hinunter.“

„Ich will auch Ski fahren!“, rief Theo aufgeregt. Der Blick des Alten wurde wieder traurig. „Leider geht das nicht mehr. Die Menschen haben die Luft so stark verschmutzt, dass es irgendwann nicht mal mehr im Winter kalt genug wurde für Schnee und schlussendlich hat es aufgehört hat zu schneien. Und ohne Schnee kann man nicht Ski fahren. Künstlicher Schnee würde viel zu viel Wasser verbrauchen. Auch das ist mittlerweile knapp geworden und reicht gerade noch zum Trinken.“ „Schade!“, die Aufregung aus Theos Blick verschwand. „Ich würde auch gern mal Ski fahren.“

© Hanna Oppelmayer 2022-08-24