Schneeblind in der Stadt

Mathias Mühlgrabner

by Mathias Mühlgrabner

Story

Gelb glitzernd flackert das Sonnenlicht im orangen Schnee. Der Schutz gegen Schneeblindheit ist es langfristig sicherlich wert, jetzt die bezaubernden Momente eines Wintertages in den Bergen in Gelb sehen zu müssen. Dennoch fühlt es sich wie ein Akt der Resignation an, für einen kurzen Moment die Schneebrille abzusetzen.Kaum habe ich die Brille abgesetzt und die Augen geöffnet, blendet mich die plötzliche Mischung aus lebensechter Farbe und reflektierter Mittagssonne auch schon. Es fühlt sich wie ein persönlicher Triumph an, die Lider nach einer kurzen Pause wieder zu öffnen und trotzig das Lichtspiel zu bewundern. Es ist die Hoffnung auf diese Schönheit, die mich dazu bewegt hat, heute den Aufstieg auf mich zu nehmen. Um wieder durchatmen zu können und mich daran zu erinnern, dass Schönheit unweit von meiner Wohnung komplett natürlich entsteht.

Durch das Absetzen der Brille wird mir erst bewusst, wie viel ich geschwitzt habe. Der Schaumstoff der Brille ist nass und die kalte Luft sticht regelrecht auf der feuchten Haut. Mein schutzloses Gesicht ist die Erinnerung daran, wie wenig mich von der Umwelt trennt. Ein paar Lagen Stoff zwischen mir und den Dolchstößen von Mutter Natur. Also setze ich die Brille wieder auf und wickle den Schal ein wenig enger.

Laut knarzend gibt der feuchte Schnee meinen Stiefeln nach. Es ist kalt, aber mir war schon kälter.

Wenige knarrende Schritte später erreiche ich bereits mein Ziel. Der Gipfel dieses Hügels ist zwar kein Berggipfel, aber an Sonntagen ungestört. Da es Einfachheit ist, die ich heute Suche, ist mir die bescheidene Aussicht Recht. Heute will ich die Schönheit im Alltäglichen; wie den glitzernden Schnee und die Sicht ins Tal; das Raunen des Schnees, das weicher und friedlicher wirkt, wenn ich mich hinsetze und das Weiß, das meinem Hintern freundlicher begegnet als den Schuhsohlen.

Hierhergekommen bin ich, um der Stadt zumindest für ein paar Stunden zu entkommen. Während ich hier sitze, tausche ich den ständigen Blick in die Zukunft gegen einen Blick auf die Winterlandschaft.

Ich genieße den Moment, auch wenn dieser schrecklich gelb ist.

© Mathias Mühlgrabner 2021-08-14

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