Als ich an der Eingangstüre läute, fordert mich die gelangweilt klingende Stimme von Frau Wüsten auf, in den 4. Stock zu kommen. Leider gibt es keinen Aufzug. Die einzelnen Korridore sind – wie man oft es in großen Häusern findet – geprägt vom persönlichen Stil eines jeden Mieters. Was sich hier in einer erstaunlichen Vielfalt an Stilrichtungen und einem breiten Angebot von Accessoires der gehobenen Wohnkultur ausdrückt. Während ich über Hand geknüpfte Seidenteppiche laufe, bestaune ich pompöse Blumenarrangements, antike Kommoden und alle möglichen Designerkinkerlitzchen für den großen Geldbeutel. Vorsichtig bewege ich mich durch die Flure, immer auf der Hut, keinem der teuren Gegenstände allzu nah zu kommen. In jeder Hinsicht atemlos erreiche ich das vierte Stockwerk. Die Eingangstür zur Filmfirma “Bluemoon Production“ steht weit offen. Ein winziges, schwarzes Wollknäuel saust kläffend durch die Tür und bleibt schwanzwedelnd vor mir stehen. Als ich mich von der scheinbar freundlichen Begrüßung täuschen lasse und meine Hand ausstrecke, um das Tier zu streicheln, weicht es knurrend vor mir zurück. Versucht aber, während des vermeintlichen Rückzugs schnell noch, nach meiner Hand zu schnappen. Nur meine Geistesgegenwart bewahrt mich im letzten Augenblick vor mehreren, fehlenden Fingern. Der Hund stutzt kurz. Als könnte er das Misslingen seiner Attacke nicht begreifen. Dann hetzt er jaulend und mit fliegenden Ohren in die Wohnung zurück. So ein hinterhältiger Köter! „Lisa, hierher!“, befiehlt eine schrille Frauenstimme. Wie angewurzelt verharre ich an der Tür. Erst bei „Lisa, sitz`!“ erwache ich aus meiner Trance und begreife, dass Frau Wüstens Haustier und ich offenbar Namensvettern sind. Leider bleibt mir keine Zeit, dieses merkwürdige Omen zu hinterfragen. Im Türrahmen taucht eine Frau auf, die aussieht, als wäre sie soeben einem Männermagazin entstiegen. Ich schätze sie auf Mitte dreißig: große, rauchig geschminkte Mandelaugen – hohe Wangenknochen – ein Teint wie Porzellan – kirschrot geschminkter Schmollmund. Die langen, rabenschwarzen Locken trägt sie offen. Ihr Körper ist schlank und zugleich kurvenreich. Sie trägt ein enges, schwarzes Top mit Netzeinsätzen und tiefem Ausschnitt, das perfekte Brüste und eine gertenschlanke Taille wirkungsvoll betont. Ihre langen Beine stecken in einer mintfarbenen Markenjeans, von der ich zufällig weiß, dass sie rund dreihundert Euro kostet. Gekrönt wird das schicke Outfit von schwarzen Designer-Sandaletten mit halsbrecherischen Absätzen, auf denen Frau Wüsten mit traumwandlerischer Sicherheit balanciert. Widerwillig gestehe ich mir ein, dass mich die Makellosigkeit dieses Schneewittchens in sexy Aufmachung irgendwie beeindruckt. „Frau Rosenthal?“ Sie schenkt mir einen abschätzigen Blick. Ich strecke ihr die Hand entgegen, die sie anscheinend übersieht. „Treten Sie doch näher!“ „Gern, antworte ich geistesabwesend. Denn vorrangig beschäftigt mich die Frage, wo der heimtückische Hund geblieben ist. „Ich nehme an, Lisa hat Sie schon begrüßt?“ Frau Wüsten kichert. Ein wenig dümmlich, wie mir scheint. „Oh ja!“, sage ich amüsiert. „So könnte man es nennen!“ Zwischen den Augenbrauen der Unternehmerin erscheint eine winzige, steile Falte, die mich zur Vorsicht mahnt. Falls ich diesen Job haben will. Ich beiße die Zähne zusammen und folge Frau Wüsten in ein Wohnzimmer, das in Weiß gehalten ist. Und als kleiner Ballsaal durchgehen könnte …
© Daya-Marisa Engel 2024-02-28