Schreck lass nach!

Barbara Riccabona

by Barbara Riccabona

Story

Meine damals sehr große Wohnung war beseelt. Ich bin der Meinung, dass ich alle meine Schutzgeister immer mitnehme beim Übersiedeln. Außerdem fühlte ich mich an diesem Ort über die Maßen wohl, vielleicht lebten dort vorher angenehme Menschen. Besonders fein und künstlerisch begabt war das Paar, von dem ich die Wohnung übernahm. Also auch die stationären Geister waren mir wohlgesonnen.

Von meinen Gästen, die ich wegen der Größe der Wohnung oft einladen konnte, hatten gleich mehrere den Eindruck, dass sich hier Wesen befänden. Eine befreundete Ärztin sagte das immer wieder, wenn sie da war, und sprach sogar mit ihnen. Einmal bat sie mich: „Sag bitte dem Philipp einen lieben Gruß von mir, offenbar hatte er es eilig beim Rausgehen“. Ich sagte, der wäre ja gar nicht hier, der sei in Wien. „Geh“, meinte sie, „ich habe ihn gerade unter der Absperrung durchschlüpfen gesehen und dachte, er wolle mich jetzt nicht treffen, aus Zeitmangel“. Mein Sohn und sie kannten sich gut, so war sie auch gar nicht gekränkt darüber, dass er sie ihrer Meinung nach nicht begrüßen wollte.

In dieser Wohnung konnte ich auch die Trancerituale von Felicitas Goodman durchführen. Dazu besorgte ich mir eine Trommel- und Rassel CD, da ich nicht selber in der erforderlichen gleichmäßigen Geschwindigkeit rasseln und gleichzeitig in Trance fallen konnte.

Ich schaltete Telefon und Hausglocke aus, traf die notwendigen Vorbereitungen wie Essensgaben, Mandalas in der Mitte des Schutzkreises, um den uralten Wesen Respekt entgegenzubringen, versetzte mich in die zugegebenermaßen manchmal anstrengende Haltung, und stellte punktgenau das CD–Gerät ein. Dieses trat ich dann bei Beginn der Trancehaltung mit Fernbedienung los und nach fünfzehn Minuten aktivierte es selbsttätig den „Recall“, damit ich wieder aus der Trance herauskam.

Ich probierte mehrere Haltungen durch. Eine gefiel mir ganz besonders, weil sie mit meiner ärztlichen Tätigkeit zu tun hatte: die Bärenhaltung. Alte Fundstücke wiesen mehrere Varianten auf. Eine zeigt einen Riesenbären hinter einem Menschen, den er beschützend umarmt. Der Bär erscheint meist Heilenden oder auch Menschen, die Heilung benötigen.

In einer strategisch wichtigen Örtlichkeit zwischen weitläufiger Küche mit all meinen Sammlungen aus der Natur, wie Federn und getrockneten Kräutern, und dem Esszimmer, in dem mein CD-Gerät stand, stellte oder setzte ich mich immer in Position. Anlässlich der „Bärenhaltung“ spürte ich sofort beim Eintreten in die Trance mein Gesicht zu einer Schnauze wachsen. Meine gebeugten Beine fühlten sich muskulös an und überzogen sich mit Fell.

Die Trommel schlug, und ich war mitten in der Entrückung, als auf einmal der verehrte und herbeigerufene Bär laut hinter mir brüllte. Und wie! Mir schossen die Tränen vorne heraus. Ich war geschockt, aber auch betroffen und tief berührt.

Später sagte mir mein Verstand, es müsse der Abguss in der Küche gewesen sein. Er wurde punktgenau benützt.

© Barbara Riccabona 2021-03-09

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