by PaulHermann
Hat Doktor Frankenstein real existiert? Wenn ja, war er vielleicht ein verkanntes Genie und hatte eigentlich ganz Anderes im Sinn, als eine künstliche Kreatur zu schaffen? Und welches Verhältnis hatte er eigentlich zum weiblichen Geschlecht? Fragen über Fragen – und eine neugierige Krankenschwester, die sich auf eine gewagte Zeitreise begibt.
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“Diese Mary Shelley muss eine interessante Frau gewesen sein”, meinte Susi und nahm einen kräftigen Schluck aus ihrem Glas. “In der Nacht, als sie diese Frankenstein-Geschichte entworfen hat, wäre ich nur zu gern mit dabei gewesen. Und wer weiĂź, vielleicht gab es ja sogar ein reales Vorbild. Einen Arzt, ein verkanntes Genie …”
“Nichts leichter als das”, kicherte ihre rothaarige Kollegin Sabine. “Du weiĂźt ja, ich bin im Nebenberuf Hexe.” Sie gab ihrem GegenĂĽber einen schalkhaften Blick aus groĂźen braunen Augen, die einen Moment lang in hellem Gold aufblitzten. “So eine kleine Zeitreise lieĂźe sich schon arrangieren. Aber wĂĽrdest du dich das wirklich trauen?”
“Na und ob ich das wĂĽrde”, erwiderte die blonde Krankenschwester geradezu entrĂĽstet. Noch ein kleiner Schluck, und ihr Entschluss war unumstößlich. “Am liebsten jetzt gleich.” Sie warf einen kurzen Blick auf die Uhr. “Gleich zwölf … Geisterstunde …”
“Komm mit auf meine Stube. Ich brauche nur die blaue Stola … uns los kann’s gehen.”
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Die neugierige Schwester Susi wird also mit Hilfe ihrer Freundin – und einer speziellen Art von Zeitmaschine – ins Jahr 1816 versetzt und verbringt eine Nacht in Lord Byron’s Villa Diodati am Genfer See, wo sie Zeugin der Entstehung des Romans “Frankenstein” wird. NatĂĽrlich lernt sie dort auch die Autorin, Mary Godwin (später verehelichte Shelley), kennen … ĂĽber dem See zieht ein fĂĽrchterliches Gewitter auf … der Blitz schlägt ein, die Zeitmaschine spielt verrĂĽckt, Fiktion und Realität sind nicht mehr zu trennen … unsere abenteuerlustige Schwester findet sich plötzlich gefesselt auf einer harten Metallunterlage wieder, blaue Funken blitzen durch die Luft … da tritt eine Respekt einflößende Gestalt aus dem nebligen Umfeld hervor, deutet eine Verneigung an und sagt mit sonorer Stimme:
“Gestatten, mein Name ist Frankenstein. Viktor Frankenstein.”
In ungläubigem Entsetzen blickt Schwester Susi, die es jetzt doch ein wenig mit der Angst zu tun kriegt, zu der hoch gewachsenen Gestalt empor – und traut ihren Ohren nicht, als sie die weiteren Worte vernimmt:
“Ich kenne Sie genau, meine Liebe … Meine Agentin im 21. Jahrhundert hat Sie in meinem Auftrag hierher befördert. Zigarette? Ach nein, im 21. Jahrhundert ist ja das Rauchen annähernd flächendeckend verboten und im Rest der Welt verpönt … Verzeihen Sie mir den Fauxpas, meine Teuerste. Aber nun zur Sache!”
Susi weiĂź nicht, wie ihr zumute ist. Sie weiĂź nur eines: Die Schmerzen, die die einschneidenden Fesseln an ihren Gelenken hervorrufen, sind verdammt real … und dann spricht Frankenstein weiter.
© PaulHermann 2021-07-30