by Alex Busse
Lange haben wir uns auf diesen Tag vorbereitet. Heute ist er gekommen. Stumm versammeln wir uns in dem Raum. Zwölf Kapuzen in einem sichelförmigen Halbkreis. Keiner möchte der Erste sein, nur einer kann als Letzter unter der gläsernen Kuppel stehen bleiben.
Die erste Wahl ist getroffen, nur zehn Seelen zwischen uns. Unruhig rücken alle näher in die Mitte. Einer verlässt den Raum. Licht bricht durch die kreisförmige Öffnung des Daches und lässt die Gesichter der Versammelten noch bleicher aussehen. Erneut fallen die Würfel. Ein trockenes Räuspern. Gehauchtes Flüstern, Schritte zur Seite. Der Nächste. Die Würfel fallen ein drittes Mal. Stille. Der Mond ist jetzt vollkommen durch die Öffnung im Dach sichtbar. Drei verlassen den Raum, sechs Seelen zwischen uns. Ich fange den bangen Blick deiner Augen auf. Ein flüchtiges Lächeln. Möge es dich verschonen.
Im Vorbeiziehen des Mondes fallen die Würfel so hart wie die weichen Strahlen der Nacht auf unseren Kapuzen sitzen. Stück für Stück rücken wir näher aneinander. Eine Seele zwischen uns. Aber auch nur für einen Kantenschlag. Ich drücke deine Hand. Meine Wärme umfängt deine Kälte. Dir wird nichts passieren. Das lasse ich nicht zu. Die Würfel fallen ein letztes Mal. Zwei stählerne Augen befehlen mir zu gehen, deine Bitten, mich zu bleiben. Ich drücke dir noch etwas in die Hand.
Mit dem Letzten verlässt auch das Licht des Mondes den Raum. Du bleibst in der Mitte stehen, meine Seele zwischen uns.
Vor der Tür ist alles ganz anders. In schwarzen Tropfen fällt die Sonne vom Himmel, macht uns blind. Verlorene Schritte auf kaltem Asphalt. Der, dessen Beine ihn nicht mehr tragen, fällt hin. Schatten spenden das neue Licht, doch egal wie sehr wir es versuchen, das statische Pfeifen hat sich in den Ohren eines jeden festgekrallt. Umgeben von verlorenen Seelen werden Tage, Wochen, bis auch diese nur noch Wortgespinste aus vergessenen Zeiten sind.
Der riesige tropfende Ball über unseren Köpfen versenkt uns die Haut und nährt sich an unserer Verzweiflung. Das Starren toter Augen ist wie Elektrizität, durchstechend und immer da. Hier zu sein ist schon lange kein Privileg mehr. Der, der die Wahl gewinnt, wählt lieber den Gang über die Planke als einen weiteren Sonnenaufgang. Und die, die blieben? Wirre ausgezehrte Gestalten. Die, die bleiben, haben immer noch Hoffnung auf das Anbrechen der Nacht, oder dass sie von der nächsten Kohorte erlöst werden.
WeiĂźt du noch, was ich dir damals gab? Das GegenstĂĽck trage ich stets um meinen Hals. Ich habe mir geschworen, die Beiden eines Tages wieder zu vereinen. Meine Seele und deine Seele. Noch habe ich nicht aufgegeben!
© Alex Busse 2022-07-22