Ich male seit meinem elften Geburtstag. Jetzt bin ich zwanzig, male schon seit neun Jahren. Wenn ich meine Bilder zögerlich präsentiere, passiert es mir ständig, dass mir gesagt wird, wie talentiert ich doch bin. Dass sie eifersüchtig darauf sind, wie leicht es mir fällt, so ein Bild zu malen.
Niemand allerdings fragt mich, wie mein erstes Bild aussah. Ich kann mich genau an das erzwungene Lächeln meiner Mutter erinnern, als ich die krakelige Landschaft präsentiert hatte. Ebenen hatten gefehlt und Schattierungen und von der Sonne, die ich mit gelb und orange und einer Sonnenbrille in die Ecke gemalt hatte, wollte ich gar nicht erst anfangen. Aber obwohl es ein objektiv schlechtes Bild gewesen war, hatte ich weiter gemacht.
Jetzt habe ich über zehn Malblöcke gefüllt. Habe Hände und Gesichter und Körper und Tiere gemalt. Manchmal blättere ich durch die Hefte und sehe mir meinen Fortschritt an. Wie ich langsam begriffen hatte, wie man Gesichter malt. Wie ich es komplett vergessen hatte, sobald ich einen anderen Winkel ausprobiert hatte.
Ich hatte sogar meinen Hund gemalt. Die unzähligen Skizzen ihres Kopfes waren das Einzige, was noch von ihr übrig war. Ich hatte Jahre meines Lebens darein investiert, zu lernen, wie man malte. Und ich war immer noch nicht so gut, wie ich es sein wollte. Wenn ich mir andere Künstler ansah und von ihren Techniken lernte, bemerkte ich, dass ich trotz neun Jahren Erfahrung immer noch lernen musste.
Und manchmal störte mich das, doch dann realisiere ich, dass ich auch nur ein Mensch war. Dass ich niemals perfekt malen würde, aber dass ich stolz in den Gemälden und Porträts und Skizzen fand, die mein waren. Die meinen Fortschritt zeigten. Meine manchmal unerwiderte Liebe für den Pinsel.
Und dann sehe ich die ‘Bilder’, die von Künstlicher Intelligenz erstellt wurden. Sehe sie von Menschen anpreisen, während ich nach der Seele in diesen Bildern suche. Meine Kunst ist nicht perfekt. Meine Kunst wird es niemals sein. Doch sie ist mein. Meine Seele steckt in ihr, mein Herz. Ich. Menschliches.
Die Welt ist gefüllt von Problemen, so viel schlimmer, als das meine. Von Menschen, die echte Beschwerden haben. So viel schlimmere, als von einem Computer erstellte Bilder. Menschen, die kein Wasser haben, weil andere Menschen ihre Wohngebiete für den Erhalt der KI nutzen. Ich habe es also ganz gut.
Aber wird es so weiter gehen, bis sich die Menschen an die Seelenlosigkeit der Kunst gewöhnt hatten? Bis das Verkaufen meiner Kunst nicht mehr gerechtfertigt ist, weil Menschen mit ein paar Klicks ein besseres Bild erschaffen können? Ein Bild, das vielleicht von mir gestohlen ist? Wer braucht lebenslange Erfahrung, wenn man einen Computer hat? Wer braucht Lernen und Versagen und neu Lernen, wenn eine Maschine es übernehmen kann?
Wer braucht Seele, wenn KI sie einem erleichtert?
© Marie Doberstein 2025-08-24