by Justyna
Sie nahm mich zu einem Vortrag mit. Sie sagte, es würde ums Klettern gehen und ich konnte nach dem Satz: „Der Typ ist echt so geil drauf, das kannst du dir das kaum vorstellen“ nicht widerstehen. Es funktionierte wie ein Lockvogel, denn sie wusste, dass ich dem Klettern verfallen bin. Und ihr. Es hat mich gewundert, dass sie sich plötzlich für meine Themen interessiert, es war nie wirklich Ihres.
„Wie idiotensicher ist Klettern?“, fragte sie im gleichen Atemzug, gleich nach dem Satz mit dem geilen Typen. Ja, es ist sicher nichts für Idioten aber für Nicht-Idioten ist es sicher. Ich antwortete zunächst nichts, lachte innerlich, dann sagte ich: „Siehst du wahrscheinlich beim Vortrag“ und zwinkerte ihr dabei liebevoll zu. Ihr Lächeln entschuldigte alles. Sie sagte, es gehe ihr beim Thema Extremsport mehr um das Leben im Moment, abseits von Leistung und Materialismus, achtsamen Umgang mit Natur und mit sich selbst. Sie erzählte zwischendurch von der Kraft der Gedanken. Gedanken, die zu Gefühle werden und Gefühle, die mit Charakter verschmelzen und wie sie anschließend vermögen zur Realität zu werden. “Alles im Fluss”, erzählte sie „Es war ja auch dein Traum, die Freiheit zu suchen und sie zu finden“. Ja, einst wollte ich das mit ihr, denn es war auch ihr Traum, ganz ohne diese materialistische Überheblichkeit. Beeindruckt von ihrer positiven Lebenseinstellung dachte ich einst, ich könnte mit ihr bis ans Ende der Welt. Nur in der Spirale der Negativität, wo alles Zerstörerische zum Vorschein kam und wie Sodbrennen nach jeder fetten Speise in der Speiseröhre brannte, traute ich mich nicht mehr. Und sie drängte nicht genug, ließ mich schreien, wenn es mir schlecht ging und die Wut über die Vergangenheit hochkochte. Wir weinten und ich versprach ihr, mich wie einen alten PC herunterzufahren und dann wieder hoch, denn sie wollte mich nicht mehr in diesem Zustand ertragen. Und sie wollte auf keinem Fall klettern. Da für mich das Klettern ein ausschlaggebender gemeinsamer Nenner einer Beziehung war, machte es mich traurig. Ich stieß sie daher endgültig weg. Doch statt loszulassen hätte sie mich festhalten sollen, wir hätten es zumindest versuchen können. Übrig blieb uns das unsichtbare Seil der Sehnsucht, des Urvertrauens in einem Freundschaftsuniversum. Das Sichtbare lag woanders.
„Deine Freundin klettert doch spitze, oder?“ “Ja, sie ist aber nicht so eloquent wie du”, dachte ich leise. „Stimmt, idiotensicher sogar. Damit du es weiĂźt, deine Lebenseinstellung gefällt mir allerdings besser“, antwortete ich. Sie lächelte wieder und ich glaubte kurz, dass mir mein Gleichgewichtsakt auf der Slackline doch noch gelingt. Und solange ich mich zwischen den Zeilen mit meiner Gleichgesinnten unterhielt, tanzte ich ebenso gerne abwechselnd auf den beiden Seilen, von denen eines wohl kurz vom ReiĂźen war. „Sicherheit ist die größte Illusion der menschlichen Vorstellungskraft“ – das war auch der letzte Satz in diesem Vortrag. Insofern bin ich bei dieser Kletterei sicher ein Idiot, kurz vor der entscheidenden SchlĂĽsselstelle.
© Justyna 2023-03-25