Die Antwort auf alle UnwĂ€gbarkeiten lautet Erziehung. Das stellt Michel Foucault beinah am Ende seiner Reise zu den Quellen des Nils der âSexualitĂ€t und Wahrheitâ im vierten Band fest. Er beschreibt das Projekt des Christentums als eine post-antike Verbesserung des Menschen in Glauben und Verzicht. Foucault zeigt, dass die Ăkonomisierung der SexualitĂ€t, die sich bis in den Regelvollzug fortsetzt, nicht erst vom Christentum ausgelöst wurde, sondern vorher da war. Die apostolischen Einlassungen basieren auf Milieu-ĂbereinkĂŒnften in einer nicht christlichen Welt. Am Anfang vom Ende einer langen Strecke des Begreifens zeigt Foucault, dass die KirchenvĂ€ter zu Anfang der christlichen Zeitrechnung stoische LeitsĂ€tze kopierten. Er durchforstet die Reglements von Taufe, SĂŒnde und BuĂe in der Gemeinschaft der GlĂ€ubigen. âDie Vielseitigkeit und UnbestĂ€ndigkeitâ des Menschen verlangen Regulation. Ăber die Vereinfachung gelangt man zur Askese. Â
Michel Foucault, âDie GestĂ€ndnisse des Fleisches. SexualitĂ€t und Wahrheitâ, Band 4., herausgegeben von FrĂ©dĂ©ric Gros, aus dem Französischen von Andrea Hemminger, Suhrkamp, 557 Seiten, 36,-
Der Asket bringt die Bereitschaft mit, sich gegen seine Natur zu wenden. Wird diese Tendenz dynamisiert von Optimierungserwartungen, heiĂt Erziehung der SchlĂŒssel zum Erfolg. Im 5. Jahrhundert breitet sich âeine geregelte, reflektierte und kontrollierte Praxis der Askeseâ aus. Einen architektonischen Rahmen liefern Klöster. Die Wissensgesellschaft formiert sich. Das erste Informationszeitalter bricht an. Ihrem Wesen nach ist die mit sich selbst befasste Kirche eine Akademie und so auch ein Weltraumzentrum, in dem Himmelfahrten organisiert werden. Was ist erforderlich, dass du mitfliegen darfst? Drei Begriffe greifen ineinander: Keuschheit â Reinheit des Herzens â geistiger Kampf. Die Keuschheit des Körpers koinzidiert mit der Keuschheit des Geistes. Die Gedanken sind nicht frei. Phantasie ist gefĂ€hrlich. Die Erziehung bricht auf in der Zucht. Das GegenstĂŒck: Unzucht; ein Wort, das sich lange hielt und bis zuletzt nach Urinstein, Waisenhaus und Jugendstrafvollzug stank. Plötzlich hört die Askese auf das sichtbarste Merkmal eines Exerzitiums zu sein. Foucault bringt Autoren, die Askese mit körperlicher TĂŒchtigkeit und der Landesverteidigung in einen Topf werfen. Da geht nichts weiter im Text. Das Christentum ist ein einziges Ausschlagen von allem, was mit der Versuchung verbunden ist. Da lĂ€uft die Quintessenz zusammen. Der Christ muss widerstehen. Das ist sein Beruf, in dem er selbstverstĂ€ndlich scheitert. Man sieht einen kompliziert abgerichteten Menschen, der seine natĂŒrliche Richtung (schon lange) verloren hat und als von einem Gott und seinen AmtsmĂ€nnern bedrohter Religiöser eine anthropologische Mutation in sich austrĂ€gt. Wozu das Fleisch, wenn es falsch ist, ihm nachzugeben? Was gibt es noch? Mit einer gröĂeren SelbstverstĂ€ndlichkeit als der durchgehaltenen JungfrĂ€ulichkeit existiert das Sakrament der Ehe. Ihr widmet sich Foucault im dritten und letzten Teil. Die Ehe entspricht der normalen Verfassung. Abweichungen werden diskutiert und die mönchische Daseinsweise glorifiziert. Die Liebe wird als Wunder angesprochen. Sie ist eine âKraft, die sich ĂŒber die Natur erhebtâ.
© Jamal Tuschick 2024-06-19